Ausstellungskataloge
Revolution in Rotgelbblau- Gerrit Rietfeld und die zeitgenössische Kunst
, 2018
Gruppenkat_207 , Marta_Herford, 2017-2018
Licht als Zeichnung im Raum
, 2017
Andreas Schmid über Zeichnung im Raum_Licht als Zeichnung im Raum, Daimler Art Collection 2017, Hrsg. Renate Wiehager
In den Raum zeichnen- umreißen-verdichten-spuren
, 2017
In den Raum zeichnen- umreißen-verdichten-spuren, Hrsg. Claudia Busching, Ramona Zipsel
Aufstiege
, 2016
Ausstellungsfolder Lichtkunstfestival, Stuttgart, 2016, Andreas Schmid, "Gegenrufe"
Dreams of Art Spaces Collected
, 2015
Dreams of Art Spaces Collected, Hrsg.:Dorothee Albrecht, Andreas Schmid, Moira Zoitl, IGBK Berlin, Revolver Verlag 2015
Writing-Non-Writing 2015
, 2015
Gruppenausst_Katalog_Writing-Non-Writing, Collection. 2015, Hrsg_China Academy of Art Press, Hangzhou, 2015
Tu Alles weg! 100 Jahre Schwarzes Quadrat
, 2015
Katalogheft Gruppenausst_Tu Alles weg! 100 Jahre Schwarzes Quadrat, 2015_ Galerie Weißer Elefant _Bezirksamt Mitte Berlin
Die 8 der Wege_Kunst in Beijing
, 2014
Ausstellungskatalog, Hrsg. Thomas Eller, Andreas Schmid, Guo Xiaoyan, Yu Zhang, Nicolai, Berlin, 2014
Novecento mai visto_Höhepunkte aus der Daimler Art Collection
, 2013
Höhepunkte aus der Daimler Art Collection, Ausstellungsfolder "Novecento mai visto", 2013, Museo di Santa Giulia, Brescia, Daimler Art Collection
Verschränkungen_Farbe-Licht-Raum
, 2013
Andreas Schmid und Elisabeth Sonneck,
Guardini Galerie, Berlin, 2013
GLEIS-DREI-ECK BERLIN
, 2012
Gruppe Gleis-Drei-Eck Berlin- 2012, Kunst im öffentlichen Raum, Hrsg. Marvin Altner, Francine Eggs, Andreas Bicini, Jovis-Verlag 2012
Open Academy 2010
, 2011
Kulturaustauschprojekt_Open Academy 2010_ Katalog_ Hrsg_Goethe Institut Vietnam, Hanoi 2011
Andreas Schmid Lichtungen_Clearings
, 2009
Hrsg. Stiftung Domnick, Werner Esser, Nürtingen, 2009
Raum. Zeichnung: Intersection
, 2009
Leporello zur Ausstellung "Raum. Zeichnung: Intersektion", Kunstverein Nürtingen, Hrsg. Andreas Schmid, 2009
Andreas Schmid: Orte
, 2007
Leporello zur Ausstellung_Andreas Schmid: Orte, _Haus am Lützowplatz Berlin, 2007
Sieben Stücke für einen Raum
, 2003
Sieben Stücke für einen Raum, Daimler Chrysler AG, 2002, Renate Wiehager
L'Architecture, L'Espace Construit
, 2001
Ausstellungsfolder Centre d'art Passerelle, _M_M_ Reinhart_Andreas Schmid, Ausstellungsdauer: 03.07. - 03.11.20012001
4.Internationale Foto-Triennale Esslingen_Fotografie als Handlung
, 1998
4.Internationale Foto-Triennale Esslingen 1998, Ausstellungskatalog, Hrsg.:Renate Wiehager, Hatje-Cantz
Wechselnde Geschwindigkeiten
, 1998
Ausstellungskatalog, Stefan Becker, Andreas Schmid, Overbeck Gesellschaft, Lübeck, 1998
Kannst du mal die Skulptur nach Norden halten
, 1996
Künstlerbuch, zusammen mit Claude Horstmann: kannst du mal die Skulptur nach Norden halten, Hrsg.:Claude Horstmann, Andreas Schmid, Staatsgalerie Stuttgart,1996
Berlin-Beijing_Mund auf-Augen zu
, 1995
Gruppenkatalog: Mund auf-Augen zu_Berlin-Beijing, 1995, KunstmuseumCapital Normal University Beijing, Hrsg__Senat Berlin_Angelika Stepken,Huang Du, Oktoberdruck 1996
Andreas Schmid
, 1990
Ausstellungsbroschüre Gruppenausst Andreas Schmid, 1990 Ausstellungsprojekt Haus am Kleistpark, 1990, Hrsg.: Andreas Schmid 1990, Druckerei M. Duerschlag, Berlin, Druckwerstatt des BBK
Andreas Schmid, Malerei 1980-83
, 1983
Hrsg. Ute Holk und Andreas Schmid, Rheda Wiedenbrück, Westfalia Druckerei, 1983
Pressespiegel
Tu Alles weg! 100 Jahre Schwarzes Quadrat
, 2015
Gruppenausstellung, Galerie Weißer Elefant, Berlin, Berliner Zeitung, von Ingo Arendt

Höhere Wesen befahlen: “Rechte obere Ecke schwarz malen!" Fast konnte man meinen, Sigmar Polke hatte Tim Trantenroth die Idee eingegeben. Aber statt des Dreiecks, wie bei dem Kölner Genieverachter Polke, ist es eben doch ein 40 mal 40 Zentimeter groBes schwarzes “Raumquadrat”: das schräg zur Decke des Ausstellungsraums im roten Backsteinbau in der Auguststraße prangt. weiterlesen ...

Fast genauso sah es aus, als im Dezember 1915 in der Galerie Dobytschina in Petrograd (St. Petersburg) die Ausstellung .. 0,10 -Die letzte futuris­tische Ausstellung der Malerei" eröffnete. Kasimir Malewitsch präsentierte auf dieser Schau sein berühmtes “Quadrat auf schwarzem Grund" in dem traditionell der russischen Ikone vorbehaltenen “Herrgottswinkel''. Trantenroth will schon an einen der wichtigsten Momente der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts erinnern. Und wohin passte diese Idee besser als in eine Galerie, die “Weißer Elefant” heißt?
Eine überschäumende Hommage an den Mythos Malewitsch ist die Schau in einer von drei Kommunalen Galerien des Großbezirks Mitte nicht geworden. Was angesichts des 100. Jubiläums dieser “nackten Ikone” (Malewitsch) nahegelegen hätte. Die ldeen von einem “Nullpunkt der Malerei" und vom Künstler als “Vorurteil der Vergangenheit”, die der Suprematist damals deklarierte, würden die 12 Künstlerinnen, die Kurator RalfBartholomäus hier versammelt hat,vermutlich nicht mehr unterschreiben. Auch wenn sie alle so abstrakt und ungegenständlich arbeiten wie er.
Sanfter Protest
Elisabeth Sonneck beispielsweise hat ein Quadrat als seitlich eingerolltes Blatt auf die grundierte Ausstellungswand gehängt, das gar nicht schwarz ist, sondern nur so wirkt, weil die mehrfach aufgetragenen Blautöne es wie schwarz erscheinen lassen. Je näher man “Schwarz ohne Schwarz" kommt, desto stärker löst sich dessen scheinbare Monochromie aber in unendlich viele Nuancen auf. Das Ende der Malerei, dargestellt mit den Mitteln der Malerei - ein sanfter Protest gegen Malewitsch.
Die kluge, konzentrierte Ausstellung belegt, wie diese Ikone der Moderne die zeitgenössische Kunst immer noch inspiriert. Die Emphase, mit der der Künstler vor hundert Jahren rief: ,.Fliegerkameraden, folgt mir, fliegt! Vor uns erstreckt sich die Unendlichkeit" ist seinen Kollegen von heute zwar fremd. Die Abstraktion ist heute durchgesetzt. Aber in fast allen Arbeiten der Schau taucht das Quadrat auf. Freilich setzen diese Künstler Malewitschs Symbol nicht apodiktisch, sondern gehen spielerisch damit um.
In seinen “Quadraten im Aufbruch" öffnet Andreas Schmid Malewitschs Symbol zu zwei, auf die Wand gesetzten schwarzen Linien und zwei weißen Leuchtröhren -eine Erinnerung an das Dynamisierungsangebot der Avantgarde. Matthias Stuchtey hat das Schwarze Quadrat als Relief aus einem zersägten Ikea-Regal in ein Relief transformiert. Und Anja Gerecke hat es als “Plateau" aus MDF-Holzplatte auf den Boden gelegt und mit Gummi überzogen, damit man es betreten, also benutzen kann. “Aphele Panta/ Tu alles weg" - das Zitat des griechischen Neuplatonikers Plotin, mit dem Bartholomäus die Schau betitelt, trifft nicht nur Malewitschs Forderung, die Kunst von jedem Gegenstandsbezug zu befreien, sie auf die geometrischen Grundformen zu reduzieren. Sie passt auch gut zu dem nüchternen, minimalistischen Grundton der Schau. .
Wenn die Künstlerinnen etwas zu begeistern scheint, dann Malewitschs Idee des Immateriellen. Ob man nun Anne Gathmanns Rauminstallation “1/0" nimmt, in der zwei große von der Decke bis zum Boden reichende Glasscheiben die Dialektik von Präsenz und Nichtpräsenz und ein Gefühl für Gegenstandslosigkeit aufrufen.
Oder ob man den weißgestrichenen Quader “Nichts von allem" des Installationskünstlers Tilman Wendland nimmt, der an Malewitschs Architekturmodelle erinnert. Und “16. September bis 2.Oktober 2015”: das filmische Protokoll des Lichteinfalls in einem Zimmer der Galerie von Veronika Hingsberg, erinnert an Malewitschs “Suprematie der reinen Empfindung''.
“Ich habe mich in den Nullpunkt der Formen verwandelt und bin über Null hinausgegangen”: schrieb Malewitsch 1915. Dass dieser Vorstoß in die vierte Dimension nicht nur ästhetisch, sondern moralisch verstanden werden kann, zeigt das Malewitsch-Zitat, das Andreas Schmidt neben seine Installation gehängt hat: “Der Mensch muB dazu kommen, sein “Ich” in allen Völkern und Nationen zu sehen, damit das furchtbarste aller Übel, die nationalen und rassischen Unterscheidungen, beseitigt werden”: schrieb der groBe Russe in seiner Schrift “Suprematismus I" 1922. Diese “Transformation" ist aktueller den je.

"Tu alles weg. 100 Jahre Schwarzes Quadrat”, Galerie Weißer Elefant, Auguststrasse 25, Di – Sa 13-19 Uhr. Ein Katalog erscheint zur Finissage.

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Only dissidents are perceived
, 2013
TAZ, 13.01.2013
im Interview mit Susanne Messmer

taz: Herr Schmid, Sie haben mit der Künstlerin Bignia Wehrli eine Veranstaltungsreihe zum Thema zeitgenössische Kunst in China an der UdK organisiert. Warum gerade jetzt?
Andreas Schmid: Trotz der großen nationalen Schauen der letzten Jahre gibt es zu viele Vorurteile in Deutschland,wenn es um China geht–ein Fakt, der wohl auch mit einem speziellen moralischen deutschen Geschichtsbewusstsein zu tun hat. Wir wollen die Vielzahl vonPositionen aufzeigen, die es gibt.weiterlesen ...

Hat es auch mit der Rezeption des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zu tun, besonders seit seiner Verhaftung im vergangenen Jahr, die hier medial sehr intensivbegleitet wurde?
Ai Wei Wei ist nicht umsonst als Gastprofessor an die UdK berufen worden. Es ist eine tolle Leistung, all das zu wagen, was Ai Wei Wei gewagt hat:auf so mutige Weise den Finger in die Wunden zu legen. Allerdings wird Ai Wei Wei in Deutschland auch als Held aufgebaut, der in China für die Deutschen alles richten soll. Da wird von einigen Medien große Schwarzweißmalerei betrieben.
Wird nur dem Dissidenten der rote Teppich ausgerollt?
Ja, dem chinesischen Künstler, der politisch ist und zwar natürlich auf der richtigen Seite.
Das kommt mir ungeheuer platt vor. Es ist sehr schade, denn es verstellt den Blick auf die anderen chinesischen Künstler.
Auf welche Künstler?
Auf Künstler, die sich anders ausdrücken und künstlerisch großartig arbeiten, ohne ständig kritisch zu sein. einige Künstler in China bedienen sich einer anderen Sprache, die oft stiller und manchmal auch auf gewisse Art chinesischer ist. Die aber sehr wohl auch etwas bewirken kann. Es gibt so viele verschiedene Wege und Strategien, wie man etwas anstoßen kann. Viele bemühen das Bild des Gelehrten, der wie das Wasser agiert, das die Steine nicht zertrümmert, sondern langsam aushöhlt.
Oft werden solche leiseren Künstler von anderen, den Rebellen, als feige beschimpft. Was halten Sie davon?
Sehr wenig. Natürlich gibt es Verbote, Zensur und Brutalität in China. zur gleichen Zeit gibt es große Offenheit, große Freiheiten, Aufweichungsprozesse und Grauzonen. Immer mehr mittlere Beamte sind zum Beispiel kunstinteressiert. Also: Auch der kommunistische Apparat ist nicht mehr einheitlich.
Von Bildern und Bildern
■ Die Veranstaltungsreihe: „Das Bild hinter dem Bild“ der UdK Berlin in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt wurde von Andreas Schmid und Bignia Wehrli kuratiert und dauert noch bis Ende des Jahres.Sie besteht aus Gesprächen, Vorlesungen und Workshops. Chinesische KünstlerInnen geben im Dialog mit internationalen Expertinnen Einblicke in die rasanten Entwicklungen der jüngsten Kunstgeschichte Chinas.
■ Heute: Ab 17 Uhr stellen Andreas Schmid und die Kunsthistorikerin Martina Köppel-Yang eine Insidersicht der chinesischen Avantgardebewegung, der Bewegung 85, vor. UdK, Raum 110, Hardenbergstraße 33.
www.udk-berlin.de/

Was natürlich auch am kommerziellen Potential der chinesischen Kunst liegt, oder?
Das kommt noch dazu. Bis zur Mitte der 90er Jahre war die chinesische Regierung völlig ignorant und hat die Gegenwartskunst bekämpft. Dann haben sie gemerkt, dass man mit Kunst gutes Geld verdienen kann.
Hat die Überhitzung des chinesischen Kunstmarktes auch negative Auswirkungen?
Natürlich.Die Preise sind absurd hoch, teilweise über zehnmal so hoch wie hier. Viele Sammlungen und Museen können sich das nicht mehr leisten, denn für manchen aufstrebenden Künstler in China bekommen sie hier schon einen Klassiker.
Was interessiert sie selbst an chinesischer Kunst?
Die Kalligraphie ist wie ein Meer in das man springt. Man kann sich individuell ausdrücken.
Wird die Kalligrafie vom westlichen Betrachter nicht ganz im Gegenteil häufig als sehr schematisch empfunden?
Ja. Aber das stimmt nicht. In der klassischen Kalligrafie sagt man, dass man den Charakter eines Menschen in seinem Pinselstrich erkennen kann. Außerdem gibt es viele Parallelen zur performativen Kunst wie bei Lu Dadong - auch dies ein Thema, das wir in unserer Veranstaltungsreihe behandeln werden.
Seit wann interessieren Sie sich für chinesische Kunst?
Ich arbeite schon immer sehr viel mit der Linie. Ich war gerade mit dem Studium fertig, als ich eine Ausstellung mit Kalligraphien buddhistischer Mönche der Sammlung eines Abtes in Köln sah. Das hat mich derart fasziniert, dass ich mich beim DAAD bewarb und 1983 für drei Jahre nach China ging.
Davon berichten Sie heute bei der ersten Vorlesung der Veranstaltungsreihe. Wie haben sie das China der 80er empfunden?
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, was für eine ungeheure Aufbruchstimmung das damals war. Es war die Zeit, als sich die Parteiherrschaft immer mehr lockerte, die Wirtschaft immer mehr liberalisierte und der Lebensstandard vieler Menschen in China stieg. Auf einmal entstand das Bedürfnis nach mehr Freiheit. Die ganze westliche Geistesgeschichte wurde plötzlich entdeckt, es wurden erstmals Bücher vonFreud, Nietzsche und Sartre übersetzt.
Wie empfinden Sie die Bemühungen der Galeristen, chinesische Kunst hierher zu bringen?
Im Unterschied zu vielen nationalen Großschauen chinesischer Kunst in den letzten Jahren finde ich es sehr gut, was Alexander Ochs in Berlin in den Neunzigern vor allem unternommen hat. Er zeigt jedoch nicht nur chinesische Kunst, sondern auch andere asiatische Kunst. Oder auch mal einen chinesischen mit einem deutschen Künstler zusammen. Aber ein oder zwei Galerien reichen natürlich noch lange nicht.

Andreas Schmid:
geboren 1955 in Stuttgart, arbeitet seit 1987 als freier bildender Künstler, Kurator und Experte für zeitgenössische chinesische Kunst in Berlin.
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Zeichnen zur Zeit V / Kunstforum, Band 215
, 2012
Kunstforum, Band 215, 2012, S.216-219
von Reinhard Ermen


Andreas Schmid
Die Linie definiert, sie rhythmisiert, ja sie baut den Raum, im Weiß des Papiers, wo sie die dritte Dimension eröffnet, genauso wie im Raum, der schon da ist; man denke an die Kanten des Kubus, an Flüsse, Bäume und Horizonte. Und dann kommt einer und setzt seine Linien in den Raum, als sei das ein Blatt Papier, er baut weiter, er setzt Kontrapunkte, stellt Fragen. Das ist Andreas Schmid, der (fast) immer als Zeichner handelt, auch da, wo er wie ein Bildhauer öffentlich Räume bespielt. Nun sind Decken, Böden und Wände in der Regel flach wie ein Karton, durch Höhe x Breite x Tiefe berechnet sich das konventionelle Volumen, durch das Setzen farbiger Linien, kommt eine neue Dimension zustande, die im Installationsfoto wieder eingeebnet wird und trotzdem Dreidimensionalität abbildet wie ein Gemälde oder eine Zeichnung. weiterlesen ...

Kennzeichen der eben apostrophierten neuen Dimensionalität sind vorsichtige Andeutungen von Ausblicken, die durch sanft ansteigende Linienbänder möglich werden, es geht um ein horizontales Ausschreiten, nur selten synkopiert eine Senkrechte das Gefüge. Aber wo die Vertikalen herrschen, richten sich auch die Lineaturen vom Andres Schmid entsprechend ein. Die Räume schwingen aus im übertragenen Sinne, dabei sind sie doch einfach nur durch einen minimalistischen, besser: konzentrierten Eingriff berührt worden, der die bestehende Architektur nicht beschädigt, obwohl er sie gleichzeitig entschieden auszuhebeln vermag. Manchmal spannt Andreas Schmid seine Linien auch in Form kräftiger Seile auf. Für Renate Wiehager entstehen so „transitive Orte, als Orte des Übergangs zwischen Außen- und Innenwahrnehmung“. Das Gegebene und das dahinein Gesetzte treten in einen Dialog. Genauso geschieht es in den klassischen Zeichnungen, die so klassisch gar nicht sind. Unübersehbar ist eine Vorliebe für Querformate, gelegentlich bis ins Extrem. Die Linien wandern auf und absteigend, sanfte Berührungen nicht ausgeschlossen, Farben wachsen ausgesprochen diskret, blühen unter einem Abklebeband blass weiter. Nichts drängt sich auf, selbst wenn der Zeichner mit Schnitten arbeitet, das Blatt erscheint dann schon mal wie ein platt gedrücktes Modell, oft genug auch wie ein Entwurf. Die Bildräume erscheinen flach und unendlich zugleich.
Ein kontemplativer Zug geht durch diese Arbeit, der auf Anhieb nicht so leicht zu verbalisieren ist. Der Blick auf die Biographie von Andreas Schmid hilft das ein wenig zu erklären. Nach dem Studium an der Stuttgarter Akademie hat er von 1983 bis 86 drei Jahre in der Volksrepublik China studiert, davon zwei Jahre Kalligraphie in Hangzhou. Dieser
„Umweg über China“, um es mit einem Schlagwort von Francois Jullien zu sagen, hat ein latent bereits vorhandenes Gefühl für Leere und Linearität bestätigt und einer unverwechselbaren Dispositionskraft zugeführt, die wiederum mit zentraleuropäischem Abstraktionsbewusstsein zusammenkommt. Chinesisch daran ist möglicherweise der geradezu ökonomische Umgang mit dem formalen Vokabular; nur das Notwendigste darf sein, im Abstand, in der dazwischen liegenden Leere formuliert sich das Eigentliche. Und:
„Flachheit ist Fülle“, um nochmals Jullien, den französischen Sinologen und Philosophen zu bemühen. Wo ein Raum gesetzt ist, drängt er sich nicht auf. Das gerade Notwendige belehrt alle Ansprüche auf das Sensationelle. Andreas Schmid arbeitet nicht mit Effekten, jeder Zug hat seinen (gefühlten) Platz, eine falsch gesetzte Linie, und schon fällt das Ganze auseinander. Die klassische Kalligraphie bewahrt er sich daneben als eigenständige Kunstausübung. Der China-Spezialist betätigt sich als Kurator und Vermittler.
Der Zeichner arbeitet auch mit Licht im Raum. Jede der dabei verwendeten, graziösen Leuchtstoffröhren ist ein Strich, ist Teil einer weitmaschigen Schraffur. Manchmal ist das Kabel die notwendige Fortsetzung der Lichtlinie, so gesehen in einer temporären Außeninstallation an der Burg Bederkesa: „Shift“. Die Farben spielen mit, diese Raumzeichnungen leben, Andreas Schmid komponiert für sie ein Computer-Programm. 2002 im Haus Huth von Mercedes Benz am Potsdamer Platz in Berlin kommen 16 Takte (Isabel Mundry) und 16 Leuchtstoffröhren (Andreas Schmid) in der „Partitur für DCC“ zusammen. Für die 450 m² der durchaus komplizierten Deckenlandschaft im Kunstmuseum Stuttgart hat er 167 schlanke Doppelleuchtstoffrören erdacht. „Treibholz“ (2005) ist eine überdimensionale Zeichnung aus weißem Licht, hoch über den Köpfen der Betrachter. Die Besucherströme und ihre möglichen Bewegungsrichtungen, das Kommen und Gehen ist mitgedacht. Auch für diese hellen Linienwege hat er eine Partitur programmiert. Das Licht wechselt, man braucht nur wenige Minuten nach oben zu schauen. Wie an einem wolkig bis heiteren Sommertag ist die Arbeit in Bewegung und tut doch ihren Dienst, das Foyer zu beleuchten. Die Zeichnung atmet.
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Den Hochhäusern Paroli bieten
, 2012
Kunst im öffentlichen Raum im Park am Gleisdreieck präsentieren sich 23 Künstler zwischen Stellwerk und stillgelegten Gleisen. Ihre Kunstwerke schieben sich in den Raum, wo Natur und Kultur sich überlagern.
TAZ, Berlin, 24.07.2012 von Katrin Bettina Müller

Johann Aeschlimann, Kulturatta­chee´ der Schweizer Botschaft in Berlin, ist beeindruckt: Eine so groBe Fläche (17 Hektar) wie den Park am Gleisdreieck mitten in der Stadt der Bebauung zu entziehen, und das noch in diesen immobiliengierigen Zeiten, das findet er beachtlich. Äschli­mann nimmt an einem Pres­serundgang teil, der zu neuen Kunstwerken und ästhetischen Eingriffen in den Park führt. weiterlesen ...

Dass sich so viele Schweizer Künstler und die Stiftung Pro Helvetia an der Ausstellung ,,Gleisdreieck Berlin 2012" auf dem von stillgelegten Gleisen und nicht mehr genutzten Bahn­gebäuden geprägten Gelände be­teiligen, dafür hat der Kulturatta­chee´ eine augenzwinkernde Er­klärung: Schließlich seien die Schweizer Weltmeister im Bahn­fahren und das Kuratorenpaar Francine Eggs und Andreas Bitschin stammen aus einer Eisenbahnerfamilie.

Irrealer Glanz der Schienen
Schon vor sechs Jahren entdeck­ten Francine Eggs und Andreas Bitschin das Gelände, das damals noch kein öffentlicher Park war. Einige der jetzt teilnehmenden Künstler aus der Schweiz und aus Deutschland lernten die Wäld­chen, die alte Bahntrassen über­wuchern, kennen, als noch keine Asphaltwege hindurch führten; andere entschieden sich für die Mitarbeit, als die Bagger schon dabei waren, Terrassen zu planie­ren. Die Standorte der Arbeiten verschoben sich mehrfach- und damit auch die Art und Weise, wie sie sich auf den Park und sei­ne Geschichte beziehen.
Viele der Schienenstränge, die zwischen den Yorkbrücken und dem Anhalter Bahnhof liefen, liegen seit dem Zweiten Weltkrieg brach. Dass die Geschichte der deutschen Eisenbahnen in dieser Zeit auch die der gut orga­nisierten Deportationen ist, dar­auf bezieht sich Christine Berndt mit einer stillen Arbeit, für die man ein wenig vom Weg abwei­chen muss. Dort, wo das Moos die Schienen bedeckt, hat sie ein paar Meter freigelegt und mit Kupfer überzogen - ein irrealer Glanz, wie poliert, wie eben noch genutzt. Erst langsam entdeckt man einzelne Worte, die wie ab­gebrochene Gedanken auf den Schienen stehen: "wie krank": "Der Engel schweigt" oder "die Züge fallen''. Es sind Zitate aus Ge­dichten von Rose Ausländer oder Jakob von Hoddis, aber auch, wenn man das nicht weiß, sind sie als Hinweis auf die zerbroche­nen Lebenslinien, die gewaltsam beendeten Biografien und die Verschleppung lesbar. Schon weil die Schienen nach kurzer Strecke des Glänzens wieder un­ter Gras und Moos abtauchen.

Poetische Verwandlung
Christine Berndt ist zwar die ein­zige Künstlerin, die von den 23 Teilnehmern so dezidiert auf die Geschichte eingeht; mit den Hinterlassenschaften der Bahn, den vorhandenen Architekturen und technischen Ruinen hingegen beschäftigen sich einige der Künstler. Susanne Müller aus der Schweiz nutzt eines der Gitter

Die meisten Arbeiten
legen es nicht darauf
an, sich als Kunst zu
exponieren

der vorläufigen Parkbegrenzung fur eine widersprüchliche Botschaft: "vor ankommen wird ge­warnt" steht auf einem Schild neben einem blinkenden Warndreieck, durch das man wieder­um auf Schienen blickt.
Eine sehr poetische Verwandlung hat ein altes Stellwerk erfah­ren, mit dem sich die Malerin Eli· sabeth Sonneck beschäftigt hat. Sein Ziegelmauerwerk ist eh schon von Graffitisprühern viel­fach bearbeitet worden - über dieser anonymen Malerei sind nun in den Fensterhöhlen mono­chrome Farbflachen zu entde­cken, teils hinter Gittern, die das Vorhandene interpretieren und weitertreiben, ohne es aber über­trumpfen zu wollen.
Wie die meisten Arbeiten es nicht darauf anlegen, sich als Kunst zu exponieren und ins Au­ge zu springen, sondern sich eher unauffällig zwischen die vielen Schichten schieben, mit denen sich Natur und Kultur hier überlagern. Nach der Kunst muss man ein bisschen suchen: zum Beispiel an der langen Ladestraße, die vom Tempelhofer Ufer aus in den Park führt. Deren Fas­sade mit Toren, Rampe, Lampen, Kabeln und Schildem behandelt Andreas Schmid wie einen Text, in dem er nun mit schmalen far­bigen Streifen einige Stellen her­vorhebt, den Rhythmus des Ab­laufs betont und manchmal auf der Pflasterung des Hofes fortzeichnet. Eine Arbeit, die sich im Vorbeigehen erschließt.
Tatsächlich ist der Park selbst zu einer Passage geworden, einer ruhigen Verbindung zwischen zwei lauten und viel befahrenen Straßen, die akustisch nie die Gegenwart der Stadt vergessen und doch mit fett blühenden Wiesen und Birkengebüsch suggeriert, sich weit weg von allem zu befinden.
Teils kann man die Hochhauser vom Potsdamer Platz sehen, und ihnen will die Skulptur von Matthias P., Paroli bieten. Ein schmaler Streifen in rötlichen und orangen Farben. Der Titel ist programmatisch "nameless tower", stellt er den Hochhausern gegenüber allesamt fur die Identität von men stehen. Aber ins Auge mehr seine Fragilität an diesen Standort, mitten in einem aus schwarzen und grauen, und seine Farbigkeit zeigt wenn er von innen erleuchtet wird.

,.Gleisdreieck Berlin 2012 - im öffentlichen Raum", bis 23 September, am Gleisdreieck
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Je nach Standort verändert sich die Dynamik_Slide
, 2011
Andreas Schmid sorgt im Kunstkiosk des Neuen Kunstvereins Gießen für andere Perspektiven.
Gießener Allgemeine Zeitung, 12/2011
von Dagmar Klein

Der kleine, besondere Ausstellungsraum des Neuen Kunstvereins Gießen (NKG) hat sich schon mehrfach in überraschend anderem Licht präsentiert. Es gehört zum Programm des Vorstands, immer wieder Künstler zu finden, die den einstigen Kiosk an der Ecke zum Alten Friedhof neu bespielen. Mit Andreas Schmid (*1955) wurde jemand gefunden, der Räume mittels aufgebrachter Linien ganz behutsamen Eingriffen unterzieht. Klingt lapidar, ist im Ergebnis aber höchst eindrucksvoll. Wenn jemals der Satz "Kunst soll die Wahrnehmung schärfen" konkrete Bedeutung erlangt hat, dann in diesem Fall.weiterlesen ...

Beim Kunstkiosk haben ihn die merkwürdigen Ecken und Winkel sofort inspiriert, wie er beim Vorgespräch erzählt. Alles ist irgendwie schief, was er durch die farbigen Linien auf Boden und Wänden noch dynamisiert. Je nach Standort verändert sich diese Dynamik, scheint etwa die Tür völlig aus dem Rahmen zu kippen. Er malt farbige Linien auf die weiße Wand, zieht Linien mit einer Schnur oder benutzt farbige Klebebänder. Mit Neonröhren kann man ebenfalls beeindruckende Linien ziehen, vor allem in der dunklen Winterzeit wird der Kunstkiosk mit seiner breiten Fensterfront gut zur Geltung kommen. An der Decke befindet sich eine Reihe Neonröhren, die ihr Pendant auf dem Fußboden bekommen hat. Am Vordach wurden die Deckgläser entfernt und die halben Röhren jeweils farbig gefasst; auch das vermittelt einen neuen, ungewohnten Eindruck.
Am spannendsten sind wohl die Spiegelungen in den Fenstergläsern, die den Innenraum nach außen erweitern und den Außenraum nach innen holen. Und plötzlich entdeckt man die überall vorhandenen Linien, die einem vorher nie aufgefallen sind: auf der Straße und den Schildern, an den Häuserfronten und selbst an vorbeifahrenden Autos und ihren Lichtstreifen. Aber auch an Fenster- und Türrahmen, an elektrischen Leitungen und Lichtschaltern.
Andreas Schmid lebt seit 1987 in Berlin, ist aber viel unterwegs in Sachen Kunst. Sein dreijähriger Aufenthalt in China (1983 bis 86) hat ihn geprägt. »Dort lernt man die Zwischenräume und Leerstellen mit zusehen. Das begleitet einen weiter«, so Schmid. Zwei Jahre war er Gastprofessor am Gießener Institut für Kunstpädagogik (2001–03) und lehrte die Kunst, situativ und temporär zu gestalten. Auf Schmid gehen die gestalteten Kunstbänke im Phil II zurück, die letztlich auch die Bänke-Aktion in der Gießener Nordstadt beeinflussten, wie Jörg Wagner vom NKG-Vorstand berichtet. Und genau das wolle er erreichen, strahlt Schmid, dass seine künstlerischen Impulse sich ausbreiten im öffentlichen Raum. Insofern handelt es sich um ein doppeltes Wiedersehen mit einem sympathischen und auskunftsbereiten Künstler (siehe auch www.andreasschmid.info/). Ein Besuch des Künstlergesprächs zur Finissage am 28. Januar 2012 um 16 Uhr empfiehlt sich. Die Installation ist während der Laufzeit nur nach Vereinbarung zu begehen (Telefon 2 50 94 44, E-Mail: info@kunst-verein-giessen.de).
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Der Weg von der Kalligraphie zur Gegenwartskunst
, 2009
ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks in Kunstforum Band 193

Andreas Schmid, 1955 in Stuttgart geboren, lebt und arbeitet als freischaffender Künstler, Autor und Experte für zeitgenössische chinesische Kunst in Berlin. Er lebte mehrere Jahre in der Volksrepublik China und war als Ausstellungsmacher mit an der Schau „China Avantgarde“, 1993, im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ beteiligt. Mit ihm sprach in Berlin Heinz-Norbert Jocks über seine Erfahrungen und Wahrnehmungen in China.
H.-N.J.: Nun gehörtest du zu neben Hans van Dijk dem Kuratoren-Team der Ausstellung „China Avantgarde“, die 1993 im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ zu sehen war. Worum ging es euch? weiterlesen ...


A.S.: Wir wollten damals zeigen, dass es in der chinesischen Gegenwartskunst eine große Vielfalt gibt, die sich von dem sehr unterschied, was damals gemeinhin im Westen bekannt war. Es gab so gut wie keine Informationen. Ja, die zeitgenössische Kunst in China existierte in den Augen des Westens überhaupt nicht. Gerade einmal die Tonkrieger, ein bisschen die klassische Kalligraphie und da mehr deren verkitschte Derivate aus Freundschaftsläden
neben schwülstigen Ölbildchen und Aquarellen mit Fischen und Sonnenuntergängen. In Europa war man damals offensichtlich noch nicht so weit, die Entwicklung und Eigenständigkeit der chinesischen Kunst in den 80er Jahren überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, obwohl es erste Ansätze gab: Fei Dawei, der 1989 im Zuge der Repression nach Paris übergesiedelt war, hatte gleich zu Beginn der 90er Jahre in Südfrankreich eine große Landart Ausstellung mit sechs Künstlern gemacht, die sich alle im Ausland befanden. Die früheste Ausstellung in Paris, in der drei chinesische Künstler vertreten waren, war die sehr kontrovers diskutierte Zusammenstellung „Magician de la Terre“ von Jean-Hubert Martin (1989). Da wurden Huang Yongping, Yang Jiechang und Gu Dexin als erste chinesische Gegenwartskünstler in einer internationalen Ausstellung gezeigt.

Mehr zu eurer Ausstellungsidee, bitte!

Wir wollten zeigen, dass es in China eine Entwicklung gab, von der man hier in Kunstkreisen noch keine Notiz nehmen wollte, die es jedoch absolut verdiente, beachtet zu werden. Für uns war klar, dass einige von den Künstlern und Künstlerinnen, die wir in China erlebt hatten, sehr wohl das Zeug dazu hatten, qualitativ international mitzuspielen. Wir wollten in der Hauptsache Künstler zeigen, die in der VR China lebten und arbeiteten. Im Ausland lebende Künstler sollten nur beispielhaft mit wenigen Positionen vertreten sein. Wir wollten einerseits Positionen vom Aufbruch in den 80er Jahren präsentieren, wie wir sie selbst erlebt hatten; zudem aber auch den Generations- und Paradigmenwechsel vorstellen, der sich zwischen 1989 und 1991 vollzogen hatte, also ganz frisch war. So kam es, dass bei uns unterschiedliche Positionen von Malerei, Installationskunst, Konzeptkunst, Videokunst und Fotografie gleichermaßen und damit eine Vielfalt vertreten war, wie sie vorher in Europa noch nie präsent war.

Worin unterscheiden sich die beiden gezeigten Generationen?

Der wichtigste Unterschied ist wohl der, dass bei den Jüngeren weder der fast missionarische Idealismus der 80er Jahre noch die Gruppenbildung mehr existierten. Die Künstler der 85 er Bewegung betrachteten sich als Avantgarde, als existentialistische Erneuerer der chinesischen Malerei, die sich international bewähren musste. Erfüllt von einem großen Idealismus, schlossen sie sich oft zu Gruppen zusammen. Materieller Reichtum spielte keine Rolle, es gab ihn auch einfach nicht. Die Künstler, mit denen ich in den 80er Jahre zusammen kam, diskutierten heiß und viel, entwickelten hochfliegende, manchmal absurde Theorien. Sie arbeiteten oft sehr experimentell, auch konzeptuell. So gab es Performances, Expeditionen zum Himalaja mit Landart Aktionen und Installationen aller Art. Auch Video wurde als Medium durch den Künstler Zhang Peili eingeführt. Die Künstler bezogen ihre Widerstandskraft und ihre Visionen oft auch aus dem Durchhalten aus der Zeit der Kulturrevolution; so haben es mir jedenfalls Gu Wenda, Xu Bing oder auch Wu Shanzhuan erzählt. Sie bezogen daraus eine große innere Kraft. In der Malerei herrschte damals ein existentielles Grau und eher düstere Farben vor. Wenn Farben auftauchten, dann vor allem Rot, Schwarz und Weiß (in China sind dies Farben), manchmal Gelb.
Die Generation der zynischen Realisten, eher auf ihr unmittelbares Umfeld begrenzt, hatten weniger hochfliegende Pläne und orientierten sich auch weniger nach außen. Ihre Losung war, wir wollen jetzt leben. Und wir wollen es als Individuum gut haben. Gruppen waren out. In der Malerei, die jetzt das beherrschende Medium wurde, griffen sie zurück auf Ansätze innerhalb des sozialistischen Realismus. Ihre Farbigkeit war oft richtig schrill und bunt. Dazu gehörten Fang Lijun, Yu Hong oder damals auch Zhao Bandi. Meines Erachtens hat der damalige Mentor und Kritiker Li Xianting recht, wenn er vom zynischen Realismus sprach. Mit seiner Bezeichnung „China Pop“ hingegen bin ich nicht einverstanden, auch wenn er dauernd verwendet wird. Jedenfalls wollten wir diese unterschiedlichen Stränge zeigen und die Atmosphäre vermitteln, die wir erfahren hatten und in so manchen Kunstwerken spürten.

Wie geschah das?

Im Katalog nutzten wir die Gelegenheit, erheblich mehr KünstlerInnen, vor allem auch im Ausland lebende und arbeitende, zu präsentieren und erstmals bibliographisch aufzuarbeiten, was bis dato nur sehr fragmentarisch oder gar nicht geschehen. Ein kaum zu überschätzender Vorteil im Haus der Kulturen der Welt ist und war die Möglichkeit, neben der Bildenden Kunst parallele Entwicklungen in Literatur, Film, Theater und Musik präsentieren zu können. Es war auch großartig, wie die Beteiligten vom Haus inklusive Chef Coenen selbst mitzogen und bis in die Nacht engagiert waren. Am Ende war es einfach wunderbar, wie viele Schriftsteller in relativ kurzer Zeit im Haus gelesen haben: Gu Cheng (leider verstorben), Yang Lian, Duo Duo, Bei Dao, Meng Ke und andere. Der Saal war immer total voll, die Leute saßen auf dem Boden. Zu dem Konzert von Cui Jian und der Frauenband Cobra kamen immerhin 4000 Besucher! Auch das Konzert mit zeitgenössischer Musik mit Komponisten wie Tan Dun, der eigens aus New York angereist war, war absolut eindrucksvoll. Wir haben versucht, ein wenig davon im Katalog lebendig werden zu lassen. Da ich für die Koordination der Beiträge im Katalog verantwortlich war, sprach ich oft mit den Autoren, wodurch ich vieles erfuhr, was ich zuvor nicht wusste.
Die Ausstellung war zusammen mit der nur wenige Tage später eröffneten Ausstellung „China`s New Art, Post 89“ von Johnson Chang Tsong Zung in Hong Kong die Initialzündung für ein weltweit aktiviertes Interesse von Museen, Galerien, Sammlern und Kuratoren an zeitgenössischer chinesischer Kunst. Auch der Sammler Ludwig kaufte wenige Monate nach Eröffnung mehrere Bilder aus der Ausstellung. Natürlich hat so ein Wirbel immer zwei Seiten: So blieben die stilleren und konzeptuellen Arbeiten der Berliner Ausstellung leider weniger beachtet, obwohl sie gerade künstlerisch sehr qualitätsvoll waren. Vielleicht fehlte aber den Journalisten und Sammlern dazu der informelle Hintergrund.
Könntest du ein bisschen auf die Arbeiten eingehen, die zu sehen waren?
Zu den besonders qualitätsvollen Arbeiten der Ausstellung gehörten die Videos des schon erwähnten Zhang Peili. Er ist einer der Pioniere der chinesischen Videokunst. Seine Arbeit „Hygiene“, in dem der Künstler 180 Minuten lang ein Huhn einseift und wäscht, zählt in seiner untergründigen Kritik an der „Staatshygiene“ Chinas zu den mutigen künstlerischen Arbeiten der späten 80er Jahre. Das Video „Ci Hi“, in der eine der damals bekanntesten Fernsehsprecherinnen Chinas aus einem chinesischen Wörterbuch (dem Ci hi,) liest, konnte öffentlich eben-so nicht gezeigt werden wie die vorausgegangenen Bilder „Die Standartaussprache nach 1989“, in dem die nämliche Fernsehansagerin neben einem Ausschnitt aus der Karte Chinas zu sehen ist, die auf dem Kopf steht. Hinweislinien zeigen auf Unruheprovinzen Xinjiang und Tibet. Diese Arbeiten strahlen eine beunruhigende Ruhe aus.
Interessant waren auch die damaligen frühen Grisaillemalereien von Fang Lijun, die von ganz starker malerischer Qualität waren. In der direkten Darstellung seiner Bekannten und Freunde, die sich gegenseitig belauern, bringt der Künstler eine neue Komponente ins Spiel, nämlich das direkte Umfeld als Thema im Gegensatz zu den idealistischen Themen der älteren Generation und die gleichzeitige psychologische Beobachtung vom Verhalten der Menschen Anfang der 90er Jahre untereinander. Menschen, die Freunde sind und sich dennoch belauern. In den beiden Beispielen zeigen sich die unterschiedlichen Stärken zweier Generationen.

#-AUFBRUCH NACH CHINA
Nun war diese Ausstellung das Ergebnis einer langer Recherche in China. Was brachte dich eigentlich dorthin? -#

Ich studierte in den 70er Jahren in Stuttgart an der Akademie der Künste Malerei. Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass ich, statt die ganze Fläche mit Farben und Formen zu bedecken, eher grafisch und räumlich offen vorging. Diese lichten Stellen und Freiräume hatten mit einem anderen Verständnis von Komposition und Raum zu tun. Was mich reizte, war die Linie, obwohl ich damals auch stark mit Farben agierte. Dass dies mit der asiatischen Bildauffassung etwas zu tun hatte, habe ich erst gegen Ende meines Studiums festgestellt. 1981 sah ich nämlich in Köln im ostasiatischen Museum die Ausstellung „Sho“, eine Sammlung japanischer Schriftkunst buddhistischer Sinnsprüche aus dem Daitokuji in Nara. Fasziniert davon, wie die Kalligraphie auf dem Blatt stehend, Räume erzeugte, wollte ich der Natur der Linie auf den Grund gehen. Beim Deutschen Akademischen Austausch-dienst (DAAD) wurde ich auf Angelika Obletter verwiesen, eine Schülerin des Malers Günter Fruhtrunk in München, die gerade als erste deutsche Kunststipendiatin in China gewesen war und in Hangzhou Tuschemalerei studiert hatte. Bei einem Treffen in München ermutigte sie mich trotz der harten und autoritären Ausbildung zu meinem Vorhaben, das für mich mittlerweile eine innere Notwendigkeit geworden war. Dies schienen auch die Juroren beim DAAD 1982 zu bemerken, da sie mir ein Stipendium zusprachen. Zunächst hatte ich den Wunsch, neben Kalligraphie auch noch Landschaftsmalerei zu studieren, da mich die Malereien z.B. eines Ni Zan (14.Jh.) oder Shi Tao (17.Jh.) sehr faszinierten. Aber als ich dann sah, wie das Fach in Hangzhou gelehrt wurde, sah ich schnell davon ab und entschied mich für Kalligraphie im Hauptfach mit Siegelschneiden und Theorie als Nebenfach.
Zuvor absolvierte ich ein einjähriges Sprachstudium in Peking. Ich hatte zwar schon vorher in Bochum einen sehr guten Kurs gemacht und privat noch etwas Unterricht bei einem der ersten Austauschchinesen in Stuttgart genommen; das reichte aber bei weitem nicht aus. Der Unterricht war sehr fordernd, was das Pensum betraf. Täglich, sogar samstags bekamen wir 30 Wörter zu lernen. Von dreizehn Schülern waren wir am Ende nur noch fünf. Auf der anderen Seite war das Leben im Institut phantastisch, da man mit Menschen aus sehr vielen Ländern (meine Nachbarn waren Nordkoreaner, mein Gegenüber ein pakistanischer General, der Militärsprache studierte) in Kontakt kam und dadurch einfach vieles kennen lernte. Ich hatte z.B. mit den Russen heiße Diskussionen über den damaligen Pershing- Beschluss unter Kanzler Schmidt oder auch über europäische Literatur, die jedoch immer sehr niveauvoll waren. Ich war nachher mit dem russischen Kulturattacheé nahe-zu befreundet. Wir konnten uns aber immer nur im Beijing Hotel unterhalten, einer Art neutraler Zone, die 15 km vom Institut unweit vom Platz des Himmlischen Friedens lag.

Was für Erfahrungen machtest du beim Kennen-lernen von Leuten in China?

Sagen wir es einmal so: Das Anklopfen, das An-schlagen oder das sich Annähern im Chinesischen oder das Bitten darum, in den privaten Bereich eines anderen einzutreten, haben in China eine Wichtigkeit, wie wir es so nicht kennen. Wenn man Chinesen kennen lernt, schotten sie sich erst einmal ab. Vor dem Hintergrund ist verständlich,
warum es für Anklopfen so unterschiedliche Wörter gibt.
Ist das Schwellenbewusstsein in China ein anderes?
Ja, meines Erachtens ist es so, dass man gerne Geheimnisse für sich behält und Dinge hütet, um sie gegebenenfalls auch für sich nutzen zu können, und zwar nicht nur strategisch. Man lässt nicht jeden in alles hineinschauen. An der Akademie zum Beispiel war das ganz offensichtlich. Manche Professoren zogen uns, wenn sie einem vertrauten, in ein Nebenzimmer, um einem wichtige oder selten auffindbare Bücher zu zeigen. Die Bücher nicht nur zu besitzen, sondern sie auch gelesen zu haben, also das Wissen, verleihen eine gewisse Macht. Egal, ob es sich dabei um klassische Kalligraphietheorien oder um Musterbücher handelte. Wenn neue Fachbücher erschienen, mussten wir uns beeilen, um ein Exemplar zu bekommen, da von den Verlagen nur eine begrenzte Stückzahl an die Buchläden verschickt wurde. Manche habe ich gewissermaßen am Rande der Welt in der Wüste Gobi bekommen, z.B. in Lanzhou.

Lerntest du vor allem für dein Studium Chinesisch oder auch aus anderen Gründen?

Ich wollte mich nicht nur ein bisschen verständigen können, sondern tiefer in die Kultur eintauchen. Chinesisch zu können, war für mich zur Zulassung zum Studium vorgeschrieben. Am Ende stand in Peking eine Prüfung in Chinesisch - z. B. mit 5 Stunden schriftlicher Nacherzählung in Chinesisch oder dem Lesen eines Romanes von Lu Xun. Außer, dass ich unbedingt Kalligraphie lernen wollte, gab es, ohne es überbewerten zu wollen, noch einen familiären Hintergrund, der mit meinem Großvater zu tun hat. Er war lange Zeit in China, und von ihm bekam ich wohl einen Traum von China ins Herz gelegt.

Was für ein Bild vermittelte er dir von China?

Ein so menschliches wie vielfältiges. Und das, ob-wohl er wie viele Ausländer ausgewiesen wurde, als die Japaner China besetzten. Von ihm hatte ich auch als Kind ein paar kantonesische Wörter gelernt. Zurück in Deutschland, äußerte er wieder-holt den Wunsch, nach China zurückzukehren. Aber das ging in den 50er Jahren unter Mao nicht. Als es dann möglich war, war es für ihn zu spät.

Was erinnerst du von seinen Erzählungen?

Vor allem seine Beschreibungen von der Landschaft und die Warmherzigkeit, mit der er von den Menschen sprach. Er lebte in Guangdong an der Grenze von Fujian. Von der Gegend hatte er mit der Plattenkamera Aufnahmen gemacht, und ich habe von ihm ein Album mit Fotos behalten. Seine sehr lebendigen Erzählungen vom Reiten durch die Landschaft und vom Aufkommen der Taifune hörte ich, ehe ich die Bilder sah. Er be-richtete auch davon, wie die Naturgewalten den Menschen zusetzten und wie anders diese damit umgingen. Statt sich zu beklagen, machten sie das Beste aus der Situation. Von Beruf zwar Missionar, jedoch mit großem Respekt vor anderen Kulturen und Menschen, vertrat er, je länger er dort war, die Ansicht, man dürfe niemandem seinen Glauben aufzwingen. Ende der 20er Jahre traf er mit Zhu De, dem General Mao Zedongs zusammen, der ihm einen Schutzbrief für seine Missionsstation ausstellte, damit man ihn nicht attackierte. Er hielt Mao Zedong in den 30er Jahren für die einzig mögliche Lösung in jener Situation.

Hast du dich eigentlich mit Buddhismus beschäftigt?

Ich habe es nicht in dem Ausmaß getan, wie ich es mir gewünscht hätte. Auf meinen Reisen durch China versuchte ich immer, in Klöstern, bei Daoisten oder auch bei den Muslimen in Xingjiang unterzukommen. Ich habe die verschiedenen Religionen in China nie als aggressiv empfunden. Unterwegs lernte ich die unterschiedlichsten Formen von Buddhismus kennen. Zwischen Hangzhou und Ningbo, der Hafenstadt, gibt es z.B. das Kloster Tiantai, von dem aus sich der Zen-buddhismus nach Japan ausbreitete. Nun verbindet man mit China ja eher den Buddhismus oder Konfuzianismus. Dabei war der überwiegende Prozentsatz der Bevölkerung in der nur mäßig besiedelten Region Xinjiang, das mich nicht nur wegen der Wüste mehr und mehr in den Bann zog, gläubige Muslime. Auf einer dreieinhalbtägigen Busfahrt, die ich von Turfan nach Kashgar unternahm, hockte ich mit Muslimen zu-sammen, die auf schöne Weise über ihren Glauben sprachen.
#-
DER MOMENT DER ENTTÄUSCHUNG

Wie war das Jahr in Peking?-#

In jeder Hinsicht erfahrungsreich. Allerdings war ich auch enttäuscht darüber, dass mir vieles, - manche Straßen und ihre Bauten, viele Einrichtungs -, Haushaltsgegenstände, besonders aber Inneneinrichtungen so unästhetisch und für mich „unchinesisch“ erschienen. Viele Produkte bildeten für mich geradezu eine Parade des schlechten Geschmacks und ganz das Gegenteil dessen, was ich von der klassischen chinesischen Kultur aus Büchern kannte. Manches davon, wie z. B. die Heißwasserthermoskannen mochte ich allerdings später in ihrer Art doch. Dagegen liebte ich bestimmte Gegenden, wie den Wohndistrikt zwischen dem Platz des Himmlischen Friedens und dem wunderbaren Himmelstempel, eine Gegend, die leider nicht mehr existiert, da sie durch die brutale Allianz von Macht und Geld beseitigt und durch gesichtslose Gebäude ersetzt wurde. Oder die Gegend um den alten Bahnhof mit einer Sternwarte aus dem 18.Jhdt.- heute alles abgerissen. Viel mit dem Fahrrad unterwegs, musste ich erfahren, dass es nicht so einfach war, mit Chinesen in näheren Kontakt zu treten. Dazu brauchte es Zeit. Von Freunden wurde ich in die damalige Künstlerszene eingeführt. Doch ich kam in China in einer recht schwierigen Zeit an, nämlich die der Kampagne gegen geistige Verschmutzung. Wie diese sich auswirkte, erfuhr ich unter anderem durch den Sinologen Kubin, den ich im September 1983 in Peking kennen lernte. Er war gerade gekommen, um Literaten zu interviewen; stieß jedoch auf Grund der Kampagne auf eine Mauer des Schweigens. Aus Angst vor etwaigen Folgen weigerten sich die meisten, ihm Rede und Antwort zu stehen. Die Schriftsteller waren eingeschüchtert, manche sogar abgetaucht. Theaterinszenierungen von Stücken wie der „Sommernachtstraum“ wurden vom Spielplan abgesetzt. Sogar Bertolt Brecht, obwohl Marxist, durfte nicht gespielt werden. Klassische Musik, Beethoven und die Romantiker waren bereits zur Zeit der Kulturrevolution verboten, dann für kurze Zeit erlaubt, und galten jetzt auch wieder als bourgeois. Die Menschen auf der Straße wirkten verhalten. Man war auf der Hut. Denn jede Einheit hielt Ausschau nach Abweichlern, weil sie einen abliefern mussten, selbst wenn es keinen gab. Mit eigenen Augen sah ich Menschen, die in Lastwagen abtransportiert wurden. Diese Kampagne wurde im Mai 1984 abrupt beendet und durch eine vorsichtige Öffnungspolitik ersetzt. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie unterschiedlich die Zeit damals lief: Das Leben war viel langsamer und erschien manchmal sogar träge. Obwohl Peking damals eine 9 Millionenstadt war, war die Atmosphäre abgesehen von den enormen Distanzen eher kleinstädtisch. In Hangzhou, damals immerhin schon eine 2,4 Millionen-Stadt, war es abends geradezu still im Vergleich zum Straßenlärm von heute. Abends ab 20 Uhr bekam man nichts mehr zu essen, weil alles geschlossen war. Wenn man sich abends traf, so meistens privat.

Es war wohl nicht so einfach, mit Künstlern zusammenzukommen.

So ist es. Deshalb holten mich ein paar Mal chinesische Freunde mit dem Fahrrad ab, das wir dann in der Nähe des Hauses unserer Verabredung abstellten. Man klopfte an die Tür, ging hoch und pochte wieder mit bestimmten Klopfzeichen an eine andere Tür. Dann ging es über Flure wieder zu einer an-deren Tür. Alleine hätte ich das nie im Leben gefunden. Kaum eingetreten, war die Überraschung groß, denn das kleine Zimmer beherbergte genauso viele Leute wie Quadratmeter, nämlich zwanzig. Mir war nie klar, wer da wohnte. Nicht nur chinesische, sondern sogar Punk-Musik der deutschen Gruppe Ideal wurde an dem Abend und nicht wegen mir gespielt. Was mich vor allem faszinierte, war die Mischung der Leute. Nicht nur Bildende Künstler, sondern auch Schriftsteller, Komponisten und Filmemacher, also die unterschiedlichsten Leute hockten da als Gruppe beieinander. Die Sparten waren nie so getrennt wie bei uns, wo Maler und Schriftsteller zu oft unter sich bleiben.

Wirkte sich der Dialog auch auf die Arbeiten aus?

Mit Sicherheit ja. Aber was die damalige Zeit be-trifft war ich im Chinesischen damals noch nicht so gut, um sagen zu können, worum die tieferen Ge-spräche kreisten. Später allerdings fand ich dieses gegenseitige Interesse und die gegenseitige Solidarität bemerkenswert und konnte mich besser verständigen.

Mit welchen Künstlern kamst du zusammen?

Es waren unter anderem Künstler der „Ohne Namen“-Gruppe wie Ma Kelu oder Qin Yufen oder Mitglieder der Stern-Gruppe wie Yan Li oder Ma Desheng. Letzterer durfte wegen seiner Kinderlähmung nicht studieren. Ich machte seine Bekanntschaft in einer kleinen Garage, in der er sowohl mit Tusche als auch graphisch arbeitete. Nicht rein figürlich, sondern auch abstrakt. Losgelöst von westlichen Einflüssen. Man hatte damals keine Zeitschriften zur Kunst der 60er und 70er Jahre aus dem Ausland zur Hand. Um auf die Stern - Gruppe zurück zu kommen: Ein Teil von ihnen war bereits außer Landes wie beispielsweise Ai Weiwei oder Huang Rui. Über Gao Mingming, die spätere Frau von Kahn-Ackermann, dem heutigen Goethe-Institutsleiter in Peking, mit der ich das eine oder andere unternahm, lernte ich Yan Li, einen Künstler der Gruppe kennen. Die meisten, die dazu gehörten, waren Autodidakten. Ende der 70er Jahre, gleich nach der Kulturrevolution, traten sie in eine Eigenständigkeit, für die sie auch demonstrierten. Doch nachdem zwei Ausstellungen, die sie in der Nationalgalerie abhalten konnten, zu erfolgreich verliefen, wurden sie von 1982 an verfolgt. Yan Li zum Beispiel, der damals naiv surreal anmutende Bilder mit abstrakten Anklängen und chiffrierten Figuren malte, arbeitete frei und für sich. Wie und wovon er lebte, war mir unklar. Vermutlich wurde er von Freunden unterstützt. Als im Frühjahr 1984 Ronald Reagan zum ersten Mal China besuchte, wurde er unter dem Vor-wand, ein Attentat geplant zu haben, kurz zuvor inhaftiert. Nach zwei Wochen war er wieder frei. Als ich ihn danach noch einmal traf, erzählte er mir, er bekäme so oft Besuch von der Sicherheitspolizei, die ihm Schläge androhe, weshalb er das Land verlassen wolle. Er lebte dann einige Zeit in den USA, und ist jetzt in Shanghai.

#-ÜBER DIE ZIELE DER STERN-GRUPPE
Worum ging es der Stern-Gruppe? -#

Um die Akzeptanz ihrer Selbstständigkeit als Künstler durch die Regierung. Für sie war Käthe Kollwitz, weil sie auch politisch gearbeitet hatte und weil auch sie sich nicht vorschreiben ließ, was sie zu malen hatte, ein großes Vorbild. Damit beriefen sie sich im Grunde auf eine Künstlerin, die auch unter Mao hochgehalten wurde. Für die Gruppe war aber auch Picasso ein Idol.

Mit wem kamst du noch zusammen?
Ein Treffpunkt in Peking war auch die französische Botschaft, die 15 Personen in ihrer Kulturabteilung beschäftigten, die deutsche Botschaft hatte nur zwei. Auf deren Kulturabenden, die regelmäßig stattfanden, befanden sich unter den Gästen auch chinesische Künstler. Kurz zuvor hatte sich die Künstlerin Li Shuang mit einem französischen Diplomaten enger angefreundet. Das hatte zur Folge, dass sie verhaftet wurde. Das führte zu politischen Verstimmungen. Auf Druck von Frankreich wurde sie wie-der freigelassen und siedelte wenig später nach Paris über, ähnlich wie der Bildhauer Wang Keping. Die französische Botschaft vertrieb kurz nach meiner Ankunft frisch gedrucktes Buch „Les In-Officiels“, was diese Künstler, ihre Arbeiten, Gedichte von Schriftstellern und deren freundschaftliche Verbindungen zeigte und das natürlich sofort verboten war. Es war eines der ersten über die Anfänge der experimentellen Gegenwartskunst in der VR China. Wenn ich es recht erinnere, so gab es 1980 eine bei der Bevölkerung große Begeisterung auslösende deutsche Expressionismus-Ausstellung, auch eine Picasso und eine Munch Ausstellung, die sehr kontrovers diskutiert wurden. Die Gelegenheit, nach Jahrzehnten einmal Originale zu sehen, war der entscheidende Faktor. Man darf nicht vergessen: Zu jener Zeit bis in die 90er Jahre durften Chinesen ja kaum das Land verlassen. Wenn also einmal moderne Kunst zu sehen war, hatte sie eine starke Katalysator-Funktion, da die eigene Kunsttradition gekappt war. Das war z.B. auch bei einer Robert Rauschenberg Ausstellung 1985 oder bei einer 19.Jh. Ausstellung der Nationalgalerie Berlin 1986 der Fall. Vor der chinesischen Kalligraphie hatte man zwar wieder eine Art von Respekt, aber keinen wirklichen Bezug mehr dazu. In der Kulturrevolution galt sie als elitär, und alles Elitäre war per se ein Feind des Sozialismus. Dabei stellte sich paradoxerweise Mao selbst bewusst in die Reihe der berühmten Kalligraphen und damit in eine seit dem siebten Jahrhundert, seit der Tangzeit bestehende Tradition, wonach nur, wer die Kunst der Kalligraphie beherrschte, in den gehobenen Staatsdienst gelangen konnte. Und trotz-dem verkündete Mao, Kalligraphie sei elitär.
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Worum ging es den chinesischen Künstlern?-#

Darauf fixiert, sich auszudrücken, hungerten sie nach Anregungen. Als ich damals in Hangzhou an-kam, waren gerade große Richtungskämpfe (Orientierung weiterhin an der russischen Schule oder Öffnung nach Westen) im Gange, die ein Jahr später zu einem Wechsel an der Spitze der Akademie und da-mit zur Öffnung führten. Der an die Maltraditionen in Russland orientierte Direktor und die anderen in seinem Umkreis wurden nach heftigen internen Kämpfen durch solche ersetzt, die liberaler waren. Und auch die von der studentischen getrennte Lehrerbibliothek sollte die neue, von Deng Xiaoping postulierte Öffnungspolitik widerspiegeln. Drum wurde ich gefragt, welche Kunstzeitschriften ich anzuschaffen empfehlen würde. Es war der Beginn der Offenheit an den Akademien, die für die Herausbildung einer eigenständigen Kunst grundlegend und mit eine Ursache der so genannten 85er Bewegung waren. Das Bedürfnis der Studierenden nach Information war sehr groß. Ja, die Kataloge von aktuellen Ausstellungen, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte, wurden mir aus den Händen gerissen. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit der Bildhauerin Chen Yanying, die Giacometti bewunderte und der ich einen Katalog mitgebracht hatte, oder an Gu Wenda, dem ich einen frischen Bacon Katalog besorgt hatte. Mit Chen Yanying diskutierte ich über das Menschenbild des Bildhauers, über den Jean-Paul Sartre aus existentialistischer Perspektive ein Essay geschrieben hatte, und darüber, wie Giacometti auf die schmalen Formen gekommen war. Das fiel in die Zeit des Beginns der im November 2007 vom Ullens Center in seiner ersten Ausstellung dokumentierten 1985-Bewegung, da Sartre, Freud und schließlich Nietzsche übersetzt und auch gelesen wurden. In den Redaktionen saßen nun Kunstpublizisten, die nicht nur selber Texte schrieben, sondern auch aus dem Englischen übersetzten, wie z.B. Fan Jinzhong, der das intellektuelle Rückgrat der Akademie bildete und „The History of Art“ von Sir Walter Gombrich oder viele Texte von Karl Popper übersetzte. Da war auch noch das in der Schweiz geführte Gespräch zwischen Kounellis, Cucchi und Kiefer, das nur zwei Jahre, nachdem es geführt worden war, plötzlich in chinesischer Übersetzung vorlag. In Auszügen wurde sogar etwas über Beuys mit Abbildungen publiziert. Nicht nur in der Lehre bestand eine größere Offenheit, eben auch in der Wirtschaft. Man atmete auf, weil sich die Tür einen Spalt weit zur Welt hin geöffnet hatte.

#-BEUYS IN CHINA
Was fasziniert an Beuys aus chinesischer Sicht? -#

Die Auffüllung von Materie mit Geist oder Energie bewegte auch die chinesischen Künstler. Die Art seines Materialgebrauchs berührt sich offensichtlich mit dem chinesischen Denken.

Orientierten sich die chinesischen Künstler an der westlichen Kunst, und wurde womöglich dadurch erst so etwas wie eine zeitgenössische chinesische Kunst möglich?

So weit würde ich nicht gehen. Die westliche Kunst hatte auf jeden Fall eine Katalysatorfunktion. Die Künstler, die ich schätze, waren diejenigen, die sich zwar auch intensiv mit westlicher Kunst befassten, sie jedoch eigenständig übersetzten. Die chinesische zeitgenössische Kunst ist nicht die Verlängerung westlicher Kunst. Dies erlebt man nur bei Künstlern, die die westliche Karte spekulativ oder strategisch ausspielen.

Was passiert in China mit dem, was aus dem Westen ankommt? Wie wird das in etwas Eigenes übersetzt?

Heute ist die Situation eine vollkommen andere als damals. Die wenigen chinesischen Künstler waren damals neugierig auf alles, was sie nicht an autoritäre Situationen erinnerten, die sie satt und leid hatten. Bestimmte Informationen, seien sie philosophischer, literarischer oder sonst kultureller Art waren für sie wie Nahrung, die ihnen lange vorenthalten worden war. Das Lesen, das damals einsetzte, betraf sowohl die klassischen chinesischen Texte als auch die übersetzten Schriften von Sartre oder Foucault, wobei die Leser natürlich eine intellektuelle Minderheit darstellten. Für jemanden wie Huang Yongping oder auch für Ai Weiwei in einer bestimmten Phase war beispielweise Duchamp wichtiger. Alles in allem kommen die Künstler aus dem Westen nicht so an, wie wir sie verstehen. Sie dienen als spezielle Mittel, um eigene Inhalte zu transportieren.

Wie dann?

Gu Wenda wurde wohl durch Beuys dazu ermutigt, seine Kalligraphie nicht mehr auf Reispapier, sondern auf einem anderen stofflichen Material zu realisieren. Er nahm von ihm die Möglichkeit der Materialisierung auf, um seine Idee von Sprache umzusetzen. In den 80er Jahren spielt bei ihm der scheinbare Rückbezug auf die klassische chinesische Kultur eine große Rolle. Er verwendete andere Materialien wie z.B. Lack für die skulpturelle Darstellung eines Siegels sowie einen chinesischen Satz, der lesbar, aber durchgestrichen, sich durch die Materialität anders präsentierte. Diese Verbindung aus klassischer chinesischer Kunst und einer untraditionellen Methodik diente der Hervorhebung neuer In-halte. Die Arbeit „Aus der Stille entsteht die spirituelle Kraft“, ist eine große Skulptur von sechs Metern Länge und vier Metern Höhe. Bestehend aus verschiedenen Materialien wie Lack, Stoff und Tusche auf Reispapier. Das Durchstreichen und Verändern von Wörtern übersetzte er so in eine plastische Form. Schon diese Kombination von klassischen mit anderen Materialien war damals ein gewaltiger Sprung. Später außerhalb von China ging seine Arbeit in Landart über, da ließ er mithilfe eines Baggers ein Pigment in einen Graben schütten. Bei Huang Yongping, dem Begründer der Gruppe Xiamen Dada in Fujian ist es Duchamp. Als er in einem Museum in Quanzhou in Fujian mit seiner Gruppe ausstellte, erklärte er einen Teil des Abfalls, den er von außerhalb ins Museum holte, in Kombination mit anderem zur Kunst. Anlässlich einer an-deren Ausstellung, die er mit seinen Freunden machte, verbrannte er danach sämtliche Arbeiten. Diese Form von Humor und (Selbst)-Ironie hatte gar nichts Strategisches wie bei manchen Performancekünstlern in den 90ern, sondern zielte darauf ab, innerhalb der Gesellschaft zu wirken, etwas zu verändern. Eben durch Überraschung und dem Schock des Unerwarteten. Als Zhang Huan sich 1995 dagegen auszog und nackt mit Ma Liuming in der Öffentlichkeit Kartoffeln kochte und dazu Leute einlud, spekulierte er bewusst mit dem Erscheinen der Polizei.

Wo ist die kulturelle Differenz zwischen Duchamp und Huang Yongping?

Die lässt sich an einer bekannten Arbeit „ Eine Ge-schichte der chinesischen Kunst“ festmachen. Da drehte er die beiden Bücher durch die Waschmaschine und hatte die Mischung. Mit dieser Aktion ironisierte er den Anspruch etlicher chinesischer Künstler jener Zeit, die hofften, sie könnten dadurch internationalen Erfolg erringen, dass sie westliche und östliche Kunst irgendwie in einen Zusammenhang bringen würden. Seitdem Huang Yongping in Paris lebt (1989), bezieht er sich mehr und mehr auf klassische chinesische Dinge, die er in die Gegenwart holt. In Venedig 1998 unter Szeemann hat er als Künstler den französischen Pavillon bespielt. Das gäbe es im deutschen Pavillon nie und nimmer.
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Dreams of Art Spaces collected
, 2008
Frau Maja Linnemann vom Kulturnetz , Beijing interviewt Andreas Schmid zum
Projekt: Dreams of Art Spaces Collected, das Andreas Schmid zusammen mit seinen Künstlerkolleginnen Dorothea Albrecht und Moira Zoitl 2007 iniziiert und für die Internationale Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK) und bisher bis 2016 durchgeführt hat:

Interviewdatum : August 2008

ML: Herr Schmid, worum geht es bei dem Projekt Dreams of Art Spaces Collected?

AS: Dreams of Art Spaces Collected ist ein künstlerisches Recherche-Projekt der KünstlerInnen Dorothee Albrecht, Alf Löhr und Moira Zoitl und mir für die Internationale Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK) in Berlin. Es geht darum, Künstler, Kuratoren und Theoretiker, die mit Non-profit-Spaces oder Non-Profit-Projekten befasst sind oder auch individuell alternative Wege gehen, zu ihren Erfahrungen in der Praxis und ihren (Ideal-)Vorstellungen vom Produzieren und Ausstellen zu befragen. Aus unserem eigenen Erfahrungshorizont leiten sich die unterschiedlichen kulturellen Kontexte – wie z.B. süd- und mitteleuropäischen, chinesischen und australischen – her. Wir verstehen das Projekt als offenes, Projekt, das immer wieder Erweiterungen und Veränderungen erfahren wird. Außerdem sollen die Interviewten miteinander selbst vernetzt werden. weiterlesen ...


Die Recherchen basieren auf Interviews mit Künstlern, Kuratoren und Leitern, die über die Orte, in denen sie arbeiten, leben und ausstellen, aber auch über Idealräume sprechen. Im Blickpunkt stehen nicht in erster Linie Museen, sondern „Art Spaces“, „Project Spaces“ und künstlerische Initiativen. Die Ergebnisse werden der allgemeinen Öffentlichkeit in Form von Interviews auf DVD mit Folder sowie im Internet zugänglich gemacht.

Die Recherche für die Region China, für die ich verantwortlich bin, begann im März 2007 mit der Befragung von Künstlern und Kuratoren in Nanjing und Peking durch chinesische Partner. Anschließend fand im Herbst 2007 eine zweiwöchige Ausstellung während der Asien-Pazifikwochen in Berlin statt, in der die verschiedenen Interviews, sowie Bild- und Printmaterialien zum Thema gezeigt wurden. Krönender Abschluss war ein eintägiger, sehr gut besuchter Workshop. Dabei haben Künstler und Kuratoren aus unseren Projekten u.a. aus Istanbul, Graz, Lubljana, Peking, Leipzig und Frankfurt Projekte und Gedanken vorgestellt und es kam zu einem intensiven Austausch. Im April 2008 habe ich mit Dorothee Albrecht zusammen weitere Interviews in Hongkong, Shenzhen, Guangzhou, Shanghai und Yunnan geführt.

Bis Ende August 2008 werden insgesamt 44 Interviewvideos entstanden sein, darunter 13 aus dem Raum „Greater China“. Alle Interviews werden unter dem Titel Dreams of Art Spaces Collected bei der Triennale in Guangzhou im September im von Dorothee Albrecht kuratierten Tea Pavilion präsentiert.

ML: Wie wurden die Interviews durchgeführt?

AS: Die Interviews basieren auf Fragen, die vorher inhaltlich festgelegt und gegliedert wurden. Li Xiaoshan (李小山), der Leiter der Square Gallery of Contemporary Art in Nanjing, hat für uns Künstler aus seiner Umgebung interviewt. In Peking haben Zhu Qingsheng (朱青生), Professor für Kunstgeschichte an der Pekinger Universität und Teng Yuning (滕宇宁) vom Chinese Contemporary Art Archive die Interviews durchgeführt. Die Interviewvideos wurden von uns auf eine Länge von höchstens 15 Minuten geschnitten und mit englischen Untertiteln versehen, wenn sie nicht schon in englischer Sprache gegeben wurden.

ML: … und wie haben Sie die Interviewpartner in China ausgesucht?

Manche der Befragten kannten wir bereits, wie z.B. den Künstler Qiu Zhijie (秋志杰) aus Hangzhou. Er hat auch kuratiert und weiß sehr viel über Alternativräume und ihre Historie, entwickelt aber auch selbst neue Ideen für die Zukunft. Von anderen erfahren wir durch Mittelsleute. Mir war es ein Anliegen, auch Künstler aufzunehmen, die nicht nur im Atelier arbeiten. Wie Shu Yong (舒勇), der sich sehr für freie Räume als Alternativräume interessiert. Er macht bevorzugt Performances auf öffentlichen Plätzen oder auch schon mal in Managerbüros.

Gao Bo (高波) und Guan Ce (管策) aus Nanjing sind zwar Maler, beschreiben aber anschaulich die Ausstellungsbedingungen außerhalb der großen Zentren, die gar nicht erfreulich sind. Oder der Amerikaner Jay Brown, den ich hier in Berlin bei einer Präsentation seines Projektes Lijiang Studio kennen gelernt habe. Er probiert in Lijiang in Yunnan mit seinem Artist-in-Residence-Programm auf dem Lande etwas ganz Neues. Bei ihm hinterfragen und reflektieren die Gastkünstler ihre gewohnte Rolle. Es kommt zu ganz neuen Interaktionen der Künstler untereinander, es wird weitab von jeder Kommerzialisierung experimentiert und viel mit der Bevölkerung zusammenarbeitet.

Hongkong Art Centre sowie eine Einzelperson, Johnson Chang (张颂仁), der zwar eine eindeutig kommerzielle Galerie hat, aber eben auch als innovativer Kurator und Pädagoge tätig ist.

Von den Themen her ist das Projekt sehr umfangreich. Wenn es nur um Alternativräume ginge, die von Künstlern gegründet sind, gäbe es in China und Australien nur sehr wenig, anders als in Mitteleuropa. Manche Non-Profit-Spaces existierten zu Anfang des Jahrtausends in Peking, sind jetzt aber verschwunden. Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze und Richtungen, die wir anfangen zu dokumentieren um sie später zu ergänzen und zu erweitern.

Ein sehr interessantes Interview haben wir z.B. auch mit Huang Zhuan (黄专), dem Leiter des Overseas Chinese Art Terminal (OCAT) in Shenzhen geführt. Dieser erklärt, wie das OCAT innerhalb der chinesischen Verwaltung angesiedelt ist. Er hat es geschafft, innerhalb der chinesischen Administration eine Nische zu finden, wo er experimentale Kunst machen kann. Das ist von der Struktur her interessant.

ML: Wie oder von wem ist das Projekt finanziert?

AS: "Das Projekt einschließlich der Dokumentation wird durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert und die Präsentation in Guangzhou wird durch das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) unterstützt. Viele Arbeiten müssen seitens der Projektverantwortlichen aber einfach auch unentgeltlich gemacht werden. Es ist eine typische Low-Budget-Produktion."

ML: Was hat sich bei dem Projekt als China-typisch herausgestellt?

AS: In China ist gerade unheimlich viel in Bewegung. Was sich herauskristallisiert, ist, dass sich Orte und Projekte entwickeln, die eine Alternative zu den Galerien stellen. Das sind keine theoretisch ausgerichteten Räume wie oft in Europa, wo sich viele Künstler mit Theorie und Sozialgeschichte befassen. Das liegt den Chinesen so gar nicht. Sie sind eher praktisch ausgerichtet, wie z.B. das Long March-Projekt zeigt. Oder zum Beispiel Vitamin Creative Space (in Guangzhou), die machen neben ihrer kommerziellen Galerie – ohne die sie nicht existieren könnten, da es keine staatlichen Förderungen gibt – unterschiedliche experimentelle Projekte oder auch inhaltlich wie ästhetisch faszinierende Publikationen. Die werden zwar noch kaum gekauft, sind aber hochinteressant. Manche Projekte flotieren frei, brauchen gar keinen festen Raum mehr wie die von Ou Ning (欧宁).

Die Interviews zeigen auch regionale Unterschiede. Während die Ausstellungsbedingungen in Peking und Shanghai ziemlich professionell sind, arbeiten die Künstler aus Nanjing z.B. noch unter ganz anderen und wesentlich schlechteren Bedingungen. Laut den Malern Gao Bo und Guan Ce hat der Kurator hier eine unglaublich große Macht, es passiert, dass Kuratoren irgendwie die Bilder zusammensuchen und ohne irgendeinen Zusammenhang nebeneinander ausstellen. Außerhalb der Großstädte hat die chinesische Gegenwartskunst noch keinen Platz.

ML: Gibt es Unterschiede in der Realisierung alternativer Kunstprojekte in Hongkong und in Festland China?

AS: Ja. In Hongkong hat die Kunst es viel schwerer. Hongkong ist derart dominiert von Kapital, Kommerz und Marken, der Lebensstil ist einfach auf etwas ganz anderem aufgebaut. Die Künstler haben zwei bis drei Jobs. Hinzu kommt noch das Platzproblem im flächenmäßig kleinen Hongkong. Trotzdem bemüht sich z.B. das Hongkong Arts Centre, Kunst in Schulen und an öffentliche Plätze zu bringen. Außerdem gibt es in Hongkong eine starke Diskussionsbewegung. Dazu macht das Asian Art Archive viele hochinteressante Veranstaltungen. Das Asian Art Archive ist das einzige Archiv, das Gegenwartskunst aus ganz Asien dokumentiert. Außerdem beschäftigt es sich professionell mit der Aufarbeitung der Kunst in China seit den 1980er Jahren. Es ist typisch für chinesische Museen, dass es überhaupt keine Bibliotheken und keine Archive gibt. Es wird überhaupt nichts aufbewahrt, es fehlt das Gedächtnis. Auf diesem Gebiet setzt sich Hongkong sehr stark ein.

ML: Wird Dreams of Art Spaces Collected nach der Triennale in Guangzhou beendet?

AS: Nein, das Projekt soll weiter geführt und erweitert werden. Ab September 2008 wird das Projekt in die Webseite der IGBK integriert werden.Außerdem möchten wir die Vernetzung der Künstler in Form eines Blogs im Internet weiter fördern. Daneben haben wir aber auch eine Broschüre mit kurzen Beschreibungen zu jeder Einrichtung und zu jedem Interview zusammengestellt.

Auf der Veranstaltung Kunst Werte Gesellschaft, einer Konferenz zur aktuellen Bedeutung von Non-Profit-Kunstinstitutionen, veranstaltet von der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine und der Akademie der Künste in Berlin lief unser Projekt im Mai 2008 mit Erfolg. In der Schweiz und in Schweden wurde das Projekt in Teilen auch schon vorgestellt, im Januar 2009 stellen wir es in Madrid vor.

ML: #-Andreas Schmid, vielen Dank für das Gespräch! DVD-Kollektion zum IGBK-Projekt ’Dreams of Art Spaces Collected’ erscheint im Februar 2009.
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Dezember 2008:
Nach der soeben zu Ende gegangenen erfolgreichen Präsentation des IGBK-Rechercheprojekts ’Dreams of Art Spaces Collected’ auf der dritten Guangzhou Triennale in Südchina ist die DVD-Kollektion zum Projekt ab Februar 2009 erhältlich. Die Sammlung (insgesamt 7 DVDs) beinhaltet über 50 Videointerviews mit Künstlerinnen und Künstlern und Kuratorinnen und Kuratoren aus China, Europa und Australien zu Präsentationsformen aktueller Kunst. Die Kollektion erscheint zusammen mit einem 36-seitigen Begleitbooklet und kann bei der IGBK zum Preis von € 50,- bestellt werden.
Email: art@igbk.de

Interview/Text: Maja Linnemann
Chefredakteurin Deutsch-Chinesisches Kulturnetz
Copyright: Deutsch-Chinesisches Kulturnetz
August 2008

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Um die Ecke
, 2007
Irrwege: Andreas Schmid im Haus am Lützowplatz, Tagesspiegel, 24.04.2007
von ]ens Hinrichsen, Berlin

Gute Zeichnungen bannen den Blick. Aus Skizzen von Andreas Schmid findet man schwer heraus, dabei sind sie Nebenpro­dukte. Das Haus am Lützowplatz zeigt sie in der Studiogalerie: zittrig getuschte Kalligrafien, Breitwandpanoramen mit Horizonten aus Tesakrepp oder Linien, die nur Rasiermesserschlitze auf weißem Papier sind. Die Hauptattraktion aber ist Schmids Installation in den Vorderräu­men des Gründerzeithauses, das seit 1963 ein Ort der zeitgenossischen Kunst ist. Stars wie Warhol, Dubuffet, Newman waren bier zu Gast. Seit den Neunzigern bietet der Trägerverein vor allem jungen Künstlern die in Berlin rar gewordene Möglichkeit einer Einzelausstellung. weiterlesen ...

Ausgehend von einem ,,Grundklang" des Ortes, präsentiert Schmid den Ausstel­lungsraum selbst. Er bringt die Innenar­chitektur aus der rechtwinkligen Fassung, verdreht mit einer Extra-Wand das Raum­gefüge und lässt den hintersten Raum aus dem Lot kippen, indem er die Wände (ge­nauer: die Tapete) auf den Boden herab­zieht". Die Geraden, die Schmid mit Klebe­band oder Farbe zieht, spotten dem rech­ten Winkel, bilden Ariadnefäden, die den Betrachter um Ecken locken. Das Wechselspiel zwischen innen und außen zeigt sich vor allem tagsüber, wenn sich Außenlicht und eine Neoninstalla­tion vereinen. ,,Light Artists" Schmid be­einflusst. Die Formensprache des Minimalisten Judd erlernte er als "Artist in Resi­dence" auf dessen texanischer Kunst­-Ranch. Noch prägender waren Lehrjahre in China, obwohl die Nähe zu ostasiati­scher Schreibkunst kaum aus ,,Zeichnun­gen" mit Neon, Klebeband und Farbstrei­fen im Raum herauszulesen ist. Einzige Kalligrafie der Ausstellung ist die Erosi­onsspur in einer chinesischen Steinwüste - als Fototapete in die Installation inte­griert. "Taklamakan" heißt die Einode. Zu Deutsch: ,.Einer, der hineingeht und nicht mehr herauskommt".

Lützowplatz 9, bis 13.5., Di.-So. 11-18 Uhr. Am 26.4., 19 Uhr, Künstlergespräch.
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Stark02
, 2007
Kunst in der Kirche, Oderzeitung, 2007
Text und Foto von Birgit und Frank Schnibben

Raum-Installationen Tanzperformance und Musik bestimm­ten das dreitägige Kunstfestival in der Starkower Backsteinkirche.
Starkow. Zwei Tage lang intensiv einen Raum studieren, um als Er­gebnis der Betrachtungen schräg laufende Streifen an Wände und Boden zu applizieren, ist anderswo sicher ungewöhnlich. Hier nicht: Wir sind mal wieder in Starkow, und bei Andreas Schmids Installation - am Freitag als Beginn des dreitägigen Kunst - Events ,,Stark 2" eröffnet höchst durchdacht geklebt. weiterlesen ...


Der 1955 in Stuttgart geborene Künstler arbeitet momentan in Berlin, hat aber immer wieder Jahre in China verbracht, wo er nach seinem hiesigen Kunststudi­um Kalligrafie studierte. Die Rhythmik der Linien bestimmt seitdem sein Werk. Er hat einen ausgeprägten Sinn für Raumbe­schaffenheiten, die er mit Klebeband, Schnüren oder auch gern per Leuchtstoffröhre betont, auf­bricht, neu zusammensetzt. Damit erzeugt er eine Dynamik . Stets mit dem Ergebnis wie in Starkows St. Jurgen Kirche: Der Betrachter, der Willens ist, den Linien zu folgen, sieht den Raum schlich völlig neu.
Auf und ab geht es da, in langen Gelb- und kürzeren, divers getönten Rotspuren. ,,Ich habe eine Firma gefunden, die Klebestreifen herstellt, die sich ohne Spuren wieder abziehen lassen und auch eine größere Farbpalette haben", erzählt Schmid. Ebenso problem­los geht die teilweise eingesetzte Pigmentfarbe wieder ab. Spuren­los: Das ist wichtig, schließlich ha­ben wir es in Starkow mit einem bedeutenden Objekt der Backs­teingotik zu tun. Schmid, der die Kirche ,,sehr verwundet" findet, hat sein Vorgehen mil dem Denk­malschutz abgesprochen.

Am Sonnabend folgten der gel­ben Bodenlinie ganz andere: Vögel - dargestellt durch die Berliner Tanzperformance-Künstlerin Bet­tina Mainz: ,,Der Garuda symboli­siert die Mystik, der Kuckuck die irdische Tolpatschigkeit und der Kranich Eleganz." Garuda? Das fabelhafte Flugtier Ostasiens: Bet­tina Mainz studierte außer in Amsterdam auch in Indonesien Neuen Tanz. So ausdrucksvoll und durchtrainiert - sekunden­lang das Bein waagerecht halten und unbekümmert mit den Zehen zu wackeln ist schwer - tanzte Bettina zu modern interpretierten klassischen Klängen, dass es die Gäste zum Applaudieren direkt aus den Kirchenbänken riss.
Zwischen den einzelnen Lust­barkeiten, neben dem Erwähnten noch solide handgemachte Gitarrenmusik von "Bös Nervös" ( "So waren wir anfangs unserer Lauf­bahn") und Afrika-Percussion durch die Thomas-Reich-Band, setzte es zahlreiche Pausen. Eine, weil die Technik zur Experimen­tal-Kurzfilm-Vorfuhrung streikte.
Jetzt kam Laszlo Kavisanczki ins Spiel, der ungarische Lebens­gefährte von Kunstverein-Chefin Anne Hille. Wenn er kein Gulasch macht, gibt's Langos. Ein mit Öl ausgebackener Hefeteig, bestri­chen mit Knoblauchwasser.
,,Ortsbezug" ist das Motto der Kunstvereins-Aktivitäten. Daher besuchte eine Exkursion Sonntag nach dem ,,Kunstbrunch" die Außenstandorte der Werke der Frühjahrsveranstaltung ,,KunstStoff: Natur". Und wieder Musik. Per­cussion nebst Saxofon mit Stefan Kacirek und Barbara Schickerath.










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Eine Begegnung in Solothurn
, 2005
Ausstellung im Künstlerhaus Solothurn, Andreas Schmid und Martin Müller-Reinhart,
Solothurner Zeitung, 11.05.2005
von Hans-Peter Flockiger

Zwei Weitgereiste trafen sich im Künstlerhaus in
Solothurn. Der in Paris lebende Solothurner
Künstler Martin Müller­ Reinhart und der in Berlin
ansäßige Andreas Schmid. Eine Begegnung
mit Vorgeschichten. weiterlesen ...

In Solothurn aufgewachsen, machte Martin Müller·Reinhart 1974 in Bern die Matura. An· schliessend ging er für drei Jah­re zu Frarncois Lafranca nach Ver­scio oberhalb dem Lago Maggi­ore in die Lehre. Bei ihm lernte er das Papierschöpfen von Hand und liess sich in die Geheimnis­se der Radierung und Lithogra­fie einweihen. Im November 1977 liess er sich in Paris nieder. Auch 1974 beugte sich im Johan­nes-Keppler Gymnasium Leon­berg Andreas Schmid über seine Abiturarbeit. Anschliessend studierte er in Stuttgart Kunst und Geschichte.

Die Schnur verbindet
Es dauerte aber bis in den Som­mer 2001, bis die beiden Künst­ler sich im Centre d'Art Passerel­le in Brest zur Verwirklichung der Doppelausstellung «l'Archi­tecture, l'Espace construit» zum ersten Mal begegneten. Ohne sich zu kennen, sind Müller-­Reinhart und Schmid der Einla­dung der Kuratoren gefolgt. Das Risiko lohnte sich, das Experi­ment gelang. Dort stand ihnen ein Ausstellungsraum von 600 Quadratmetern zu Verfügung, welchen sie zu einem Bild­Raum-Konzept vereinigten. Auch unter den räumlich enge­ren Verhältnissen im Künstler­haus sind die Gemeinsamkei­ten der beiden Kunstler zu erkennen und zu erleben. So wur­de der mittlere Stock vom Künstlerhaus zum unausge­sprochen Mittelpunkt der Aus­stellung «Schnittstelle Raum ein Dialog».
Dort durchdringen und verweben sich mittels Schnurlinien die je in einem Raum individuell gestalteten lnstallationen zum Gemein­schaftswerk «Paris - Berlin».

Zur Raumillusion verführen
Wie Kuratoriumspräsident Alfi Maurer in seiner Eröffnungsan­sprache feststellte, weiss der aufmerksame Betrachter schnell, welcher Raum von wel­chem Kunstler gestaltet wurde. Dieses Geheimnis bleibe hier gehütet. Nichts wird aber verra­ten, wenn darauf hingewiesen wird, dass Schmid stark mit dem Ausdrucksmittel der Linie arbeitet, wahrend Mülier-Rein­hart mit Drucken, Reliefs und Objekten den Raum gestalten, ja zur Raumillusion verführen will. Diese Präferenzen der beiden Künstler sind in den übri­gen, noch bis zum 5. Juni ausge­stellten Werken, zu erkennen. Im Erdgeschoss und im Bistro im dritten Stock ist von Müller-Reinhart die Werkserie Miroir Noir zu sehen. 107 elf ma! 15 Zentimeter grosse, mit Acryl und Graphit bearbeitete Sperr­holzplättchen. Jedes eine indivi­duelle Kreation, bilden sie auch zusammen eine harmonische Einheit. Je nach Betrachtungs­weise und Art des Lichts, wel­chem sie ausgesetzt sind, verän­dern sie sich immer wieder aufs Neue. Von Schmid sind Fotogra­fien und Zeichnungen zu sehen. Es handelt sich um Projektstu­dien zur Lichtinstallation im Foyer vom neuen Kunsthaus Stuttgart, welche Schmid ent­warf.

Ausstellung im Künstlerhaus: Schnitt­stelle Raum - im Dialog, bis 5. Juno; Öff­nungszeiten Mo-Fr 14 bis 18 Uhr, Sa/So bis 17 Uhr Im Internet www.sll.ch
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Zwei Künstler nehmen sich einen Raum vor
, 2005
Solothurn, 10.05.2005

Am Wochenende fand im Künstlerhaus die Vernissage zur Ausstellung «Schnittstelle Raum -ein Dialog» statt. Sie ist eine gemeinsame Produktion von Martin Müller-Reinhart und Andreas Schmid.

Auf die zentralen Fragen nach Raum, Zeit und Licht in der Kunst finden Andreas Schmid (Berlin) und Martin Müller-Reinhart (Paris) grenzenlose Antworten. Es sind weiterführende Ausstellungskonstella­tionen, die aus einem gemeinsamen Experiment in Brest entsprungen sind. Die Auseinandersetzung mit Linie und Raum steht dabei im Vordergrund. weiterlesen ...
Empfangen wird der Besucher zum ei­nen von Reinharts Kunstreihe «Miroir Noir» -Aluplättchen bedeckt von Gra­fit und Acryl und mit Firnis abgeschützt -zum anderen von Schmids Druckgra­fiken, die architektonische Motive aus verschiedenen Perspektiven veran­schaulichen.
Alfred Maurer, der Präsident des Kantonalen Kuratoriums für Kulturförderung, hielt eine kurze und prägnante Vernissageansprache. Er sagte, dass zukünftig weitere Gruppenausstellun­gen zu sehen sein werden: Zusammen­arbeiten zwischen Kunstschaffenden des Künstlerhauses und Auswärtigen. Der Dialog findet im zweiten Stock­werk statt. Dort greifen die Installation gemeinsamen Ex­periment in Brest entsprungen sind.
Die Auseinandersetzung mit Linie und Raum steht dabei im Vordergrund. Empfangen wird der Besucher zum ei­nen von Reinharts Kunstreihe «Miroir Noir» -Aluplattchen bedeckt von Gra­fit und Aery) und mil Firnis abgeschUtzt -zum anderen von Schmids Druckgra­fiken, die architektonische Motive aus verschiedenen Perspektiven veran­schaulichen.
Alfred Maurer, der Präsident des Kantonalen Kuratoriums für Kulturförderung hielt eine kurze und prägnante Vernissageansprache. Er sagte, dass zukünftig weitere Gruppenausstellun­gen zu sehen sein werden: Zusammen­arbeiten zwischen Kunstschaffenden des Künstlerhauses und Auswärtigen.
Der Dialog findet im zweiten Stock­werk statt. Dort greifen die Installationen der beiden Künstler ineinander. In zwei weiss getünchten Räumen sind weisse Schnüre gespannt, deren Aus­richtung und Schattenwurf eine Trans­parenz erzeugen, die den Besucher zur aktiven Betrachtung auffordert.
Sofort springen die farbigen Striche an den Wänden ins Auge. Schmid erklärt, dass diese ein Spiel mit dem Rhythmus wiedergeben und eine scheinbare Veränderung der Dimensio­nen hervorrufen. Im dritten Stock sind weitere Reihen von «Miroir Noir» zu sehen, die je nach Lichteinfall eine ganz andere Wirkung bekommen. Ge­genüber hängen Farbfotografien: Eine Serie, die sich Spiegelungen als zentra­les Thema vornimmt. Komplementär zu den Bildern der Rauminstallation leuchten Wolken in ihrer Unform und verstärken mit ihren wilden Konturen das Gefühl von Raum.

Genügend Zeit nehmen
Martin Müller-Reinhart ist Maler und Graveur, Andreas Schmid arbeitet als Fotograf, Zeichner und Installateur. Trotz dieser unterschiedlichen Tätig­keitsfelder haben die beiden Kunst­schaffenden durch spannende Konzep­te zusammengefunden. Wenn der Be­trachter sich genügend Zeit nimmt, um in der eher schlichten Kunst neue Di­mensionen zu entdecken, so wird er Zeuge eines eindrücklichen Effekts: Dass Grenzen des Raums grenzenlos werden.

Ausstellung Bis 5. Juni 2005 im Künstler­haus
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Die Grenzen des Raumes verlieren ihre Gültigkeit
, 2005
Kreiszeitung Leonberg, 30.04.2005
Text von Christine Bilger
Foto von Karin Rebstock

Andreas Schmid hat Installationen für die Räume des Galerievereins Leonberg entworfen.

LEONBERG - Wenige Stunden vor der Vernissage am Freitagabend nahm Andreas Schmid noch einmal sein Werk in den Räumen des Galerievereines in Augen­schein. Er ist beeindruckt von der Wirkung des Raumes - in Verbindung mit seiner Installation.
Wo fängt der Raum an, wo hört er auf? Andreas Schmid spielt mit Grenzen, eröffnet neue Raume. Da ist die Galerie fur ihn ein wunderbarer Raum, dessen Dimensionen er aufnimmt. Im ersten Stock hat er die Installation ,.Fließender Raum" angebracht. In der Tat, der Raum, den er geschaffen hat, fließt, zieht den Betrachter mit. Um den Aufzugsschacht herum wird man getrieben, die Grenzen zu verfolgen und zu entdecken. Gespannte Schnüre, Linien auf dem Boden und an den Wänden,in Weiß und Orange erzeugen einen über die Grundrisse des Raumes gelegten Raum. Dessen Flachen und Volumen scheinen sich zu verändern, bewegt sich der Betrachter, denn je nach Standpunkt sind die Schnüre mal auf Augenhöhe, bilden Flächen mit den anderen Linien. Andreas Schmid schafft es, den Raum der Galerie als Bezugsfeld aufzuheben.weiterlesen ...
In den vergangenen Tagen war es fur ihn ein spannender Prozess, durch exaktes Abmessen exakt die Dimensionen des ,.Fließenden Raumes" festzulegen.
Auch mit dem großflächigen Wand­gemälde, das er spontan ,.Ein Keil fur Leonberg" tauft, verlässt Andreas Schmid den Raum. Mit oranger Farbe, deren Ton er auf Metall und Holz der sanierten Pfleghof­scheune abgestimmt hat, hat Schmid einen ,.Keil" in das Gebäude hineingetrieben. Versetzte Randlinien geben dem Bild Bewegung, eröffnen den Blick in einen neuen Raum. In den Keil hinein stößt ein Balken des Dachstuhles, und auch die Größendimensionen des Daches und der Wände nimmt Schmid in seinem Keil auf.
Linien und Räume spielen in allen Arbeiten des 49-jährigen, der in Leonberg aufwuchs und in Berlin lebt, eine Rolle, so auch in den Zeichnungen, Linoldrucken und Collagen im Kabinett. Die Beschäf­tigung mit diesen Themen vertiefte er wahrend des Studiums in China. Die Linien durchschreiten einen Raum. Was ungeord­net wirkt, hat stets eine Richtung und offen­bar auch ein Ziel. Die Linien sortieren sich, kommen schließlich an. "Angekommen", so ist auch die Eröffnung des Stuttgarter Kunstmuseums überschrieben. Dort hat Andreas Schmid im Eingangsbereich die Lichtinstallation "Treibholz" gestaltet. In seinen Fotografien bildet Schmid Struk­turen ab, die er findet. Eine Schiebetür in Japan, die das durchfallende Licht zerteilt, oder schlicht Spuren im grauen verschnei­ten Hinterhof. Aber auch auf einer Indus­triebrache findet er Spuren.

Beim Galerieverein Leonberg stellt Andreas Schmid bis zum 5. Juni aus.
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Seine Zeit in China gibt ihm immer wieder neue Impulse
, 2005
Auseinandersetzung mit Linie und Raum: Andreas Schmid stellt ab Freitag beim Leonberger Galerieverein aus

Leonberger Zeitung, 24.04.2005

LEONBERG-In Leonberg ist er aufgewach­sen. Nach dem Abitur ging er nach Stuttgart an die Kunstakademie, ein Sludienaufent­halt in China prägte ihn, in Berlin lebt er heute. Nun hat seine Heimatstadt Leonberg seit gut einem halben Jahr eine Galerie, und Andreas Schmid kehrt zurück - mit einer Ausstellung in der Zehntscheuer. Linien und Raum nennt Andreas Schmid als seine Themen. Und so kam es auch, dass China nach seinem Studium in Stuttgart sein Interesse weckte. Über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ging er für drei Jahre nach China, und stellte sich mehreren Herausforderungen. weiterlesen ...
Zunächst hat er ein Jahr lang in Peking die Sprache gelernt. Dann studierte der Stipen­diat zwei Jahre lang klassische Kalligrafie und Kunstgeschichle in Hangzhou. Doch weitere Aufenthalte folgten "Zusammenge­zählt war ich bestimmt sieben Jahre in China", meint der 49-jährige. Schon früh hatte sich bei Andreas. Schmid das besondere Interesse an der Li­nie eingestellt. "Was ist die Natur der Linie, von einer anderen Kultur aus betrachtet?" war die Frage, mil der er sein Studium in China anging. Am Anfang der stand die Technik, als sich Andreas Schmid mit der Kalligrafie befasste. Erst allmählich führ­ten ihn die Lehrer auch an die Philosophie heran, die dahinter steht. "Ich war nicht mehr zentriert", sagt er über den Effekt, den das Studium und die nachfolgenden Asien­reisen hallen. Zentriert auf Europa, meint er damit. So fügten sich für ihn zwei Aspekte zusammen. Andreas Schmid lernte in China eine ihm bis dahin fremde Kultur kennen, und betrachtete gleichzeitig die eu­ropäische von außen. Die Anregungen, die er aus China mit­nahm, halten bis heute an. Das ist wie ein Aggregat, da holt man sich immer wieder Im­pulse". Puristischer sei seine Arbeit gewor­den "Ich habe ausgeputzt", nennt er diesen Effekt. Stark gestisch sei sein Stil in jungen Jahren gewesen, davon hat er sich getrennt. Linien, das ist für ihn der Rhythmus, den ein Raum hat. Diesen will er nicht vorgeben.
Der Betrachter soll aktiv werden, "noch was zu tun haben". Eindrucksvoll erlebt man dies bei einem großformatigen Druck eines Fotos im Eingangsbereich der Galerie. In einer Ausstellung des Amerikaners Do­nald Judd ist es entstanden. Und - wie bei al­ien Fotografien von Andreas Schmid - ist es nicht digital nachbearbeitet. Durch eine Me­tallbox von Judd fotografierte Schmid. Das Ergebnis ist ein Spiel mit den Dimensionen. Bei seinen Zeichnungen lässt Schmid Linien über die Fläche tanzen. Mit weichen Buntstiften und Ölkreiden arbeitet er dabei, stets freihändig. Die Rauminstallationen für die Leonberger Ausstellung entstehen vor Ort, dabei greift er die Linien, welche die Räume der Galerie gliedern. •

• Die Ausstellung mit Fotografien, lnstalla­tionen und grafischen Arbeiten von Andreas Schmid wird am Freitag, 29. April um 19.30 Uhr in der Galerie in der Zwerchstraße eröff­net. Sie bleibt bis zum 5. Juni in Leonberg.
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Auf den feinsten Blättern liegen 770 Haare
, 2005
Die Top Position im Kubus am Schlossplatz wurde den Werken des Malers Otto Dix eingeräumt
Südwestpresse / Ulm, 5.3.2005
von HansKarl von Neubeck

Doppelter Glücksfall in Stutt­gart: Man muss kein Insider sein, man muss mit Künstler­namen wie Dix, Hölzel, Nau­man nicht vertraut sein, um das neue Kunstmuseum als Bereicherung der Landes­hauptstadt zu empfinden. Dieser Neubau ist zugleich ein Stuck Stadtreparatur.
STUTTGART • Wolfgang Schuster, der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, ist kein Mann der bildkräf­tigen und pointierten Rede. Aber der Einfall, das neue, 67 Millionen Euro teure Kunstmuseum als "Eck­pfeiler der Stuttgarter Kultur- und Museumslandschaft" zu bezeich­nen, ist nicht übel. weiterlesen ...

Der Glaskubus des Kunstmuseums schließt eine städtebauliche Lücke, für die der Auto-Kult der 60er Jahre verantwortlich war, als das .Kronzprinzenpalais platt gemacht wurde und ein Pro­blemfall namens Kleiner Schloss­platz entstand. Die Hinterlassen­schaft dieser Jahre ist von den Archi­tekten Rainer Hascher und Sebas­tian Jehle nicht einfach beiseite ge­räumt worden. Die Architekten ha­ben eine alte, schon vor Jahren still gelegte Tunnelröhre so verwandelt, dass das Kunstmuseum im Unter­grund, also hinter und unter dem Kubus, über eine faszinierende, leicht schräge Folge von Ausstel­lungsräumen verfügt.
Schematisch wirkt in diesem Haus nichts. Der Neubau imponiert mit einer Fülle heterogener Räume. Und Marion Ackermann, die Direk­torin, hat es verstanden, mit dem unkonventionellen Schnitt der Räume so geschickt zu spielen wie die Architekten mit den Vorgaben des alten Straßen- und Tunnelsys­tems.
Marion Ackermann !ässt die Künstler und die Kunstwerke keine Monologe führen, abgeschottet in eigenen Räumen. Das Kunstmu­seum forciert den Dialog - auch auf die Gefahr hin, dass ein Kunstwerk seinen Nachbarn übertont. Das Hauptthema in diesem Haus ist die Variation. Das beginnt schon im
Foyer. Das. Foyer wäre langweilig und fad, hatte es nicht eine Lichtin­stallation als Deckenzierde
("Treib­holz" von Andreas Schmid). Die In­stallation leuchtet ein, bringt einen Grundzug des Hauses zum Vor­schein: Die Leuchtröhren sind so ausgerichtet, dass die sanfte Abwei­chung, der kleine eigene Dreh, den der Künstler jeder Röhre mitgege­ben hat, ein vibrierendes Gesamt­bild ergibt.
Hinter dem Foyerbereich liegt eine Raumachse. die dem Publikum eine weite Perspektive nach hinten eröffnet. Wie gut, dass das weiß ge­ölte Eichenholzparkett nicht längs, sondern quer gelegt ist, andernfalls entstünde ein übermächtiger opti­scher Sog. Rechts passieren die Be­sucher einen flauschigen, dreifarbi­gen Wandteppich, von Simone Wes­terwinter gestaltet und "84 Quadrat­meter beste Lage" betitelt. Sehr pas­send in einem Museum, dessen Stel­lenwert man ähnlich definieren konnte (nur müsste man dann die Quadratmeterzahl 4934 einserzen - so groß ist die Ausstellungsflache).
Jähe Wende: Auf den flauschigen, knalligen Wandteppich auf der rech­ten Seite folgt links das Feinste, Still­ste, was das Kunstmuseum zu zei­gen vermag. Die Künstlerin Karin Sander hat 770 Haare, die von 80 Personen stammen, durch Klebstoff gezogen und jedes Haar auf ein Blatt Papier fallen !assen. Die Blät­ter werden von Karin Sander .. Haar­zeichnungen" genannt.
ichnungen" genannt.
Ähnlicher Minimalismus ver­blüfft ein paar Meter weiter - und wieder ist Karin Sander im Spiel. Auf einer riesigen Wandflache hängt ein mächtiges Bild - schein­bar weiß wie die Wand, doch bei ge­nauerer Betrachtung entdeckt man
Schmutzspuren. Das Großformat, "Gebrauchsbild" betitelt, war ei­nige Zeit im Freien gezielt dem Wind und dem Wetter ausgesetzt.
Solche Herausforderungen und Irritationen bietet das Kunstmu­seum immer wieder. Den gewohn­ten Gang geht in diesem Haus erfri­schend wenig. Auch der Mittelgang, der durch acht Ausstellungsräume führt, entspricht nicht dem klassi­schen Prinzip. Die Raumflucht weist eine leichte Steigung auf, die durch Stufen ausgeglichen wird. Au­ßerdem haben die Räume ganz un­terschiedliche Grundrisse. Dieser Bereich ist ideal fur die mittleren Formate der klassischen Moderne (Adolf Holze!, Willi Baumeister). Im Untergeschoss hat Marion Ackermann, die Museumsdirekto­rin, etwas zaghaft gehängt. Dort be­gegnet der Besucher auf einer Weg­strecke von 70 Metern nur vier Kunstwerken, was denn doch ein Gefühl halliger Leere aufkommen lässt. Der Kubus ist dagegen ein Ort der Verdichtung und Konzentra­tion. Seine Glasfassaden umhüllen einen harten Kern, dessen Außen­wände aus Kalksteinplatten mit rauer Oberflache bestehen. Die Top-Position im Kubus wurde den Spitzenwerken der Stuttgarter Sammlung eingeräumt - das sind die Bilder des Otto Dix, etwa das Großstadt-Triptychon von 1927 /28. Dix beherrscht alle vier Wände.
Aus der Not, dass der Raum ein durch Stützen markiertes Zentrum hat, das mit Dix nicht gefüllt wer­den kann, macht die Museumsdirek­torin eine Tugend. Sie hat dort die Skulptur "Wölfe und Rehe" von Bruce Nauman platziert. Was die animalischen Aspekte, die zur Bild­welt des Otto Dix gehören, betont und den Blick des Publikums wei­tet. Und gerade Letzteres versucht das Kunstmuseum mit groBer Lust.
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Großer Würfelwurf
, 2005
Die TAZ, 07.03.2005
von Ira Mazzoni, Stuttgart


Atemberaubende Kunstfluchten und dramatische Perspektiven: Das Neue Stuttgarter Kunstmuseum repariert die dem Verkehr zuliebe geschundene Stadt und bietet der Kunst dynamische Freiräume.

Stuttgart ist schön! Diese Entde­ckung macht, wer das neue Domizil der städtischen Kunst­sammlung in der Königstraße besucht. So hat man die Stadt noch nie gesehen wie von den Umgängen des gläsernen Kubus. Je höher man kommt, desto fan­tastischer das Panorama. Mit dem Dachrestaurant auf dem Kunstwürfel hat Stuttgart einen mondänen Stadtbalkon erhalten. Einen, der den Namen ·ver­dient. Der alte war nur ein Beton­deckel über dem fünfteiligen Tunnelmurks autogerechter Stadtplaner, die 1963 das klassi­zistische Kronprinzenpalais und die schöne doppelreihige Allee der Planie opferten. Der Tunnel­deckel wurde mit Betonpavillons, Betongeländern und Betonbrunnen garniert und euphe­mistisch "Kleiner Schlossplatz" getauft. Als in den Siebzigerjah­ren aus der Königstraße eine Fußgängerzone wurde, bereute man den Frevel. Die mittlere Tunnelröhre mit Trambahntras­se wurde stillgelegt, und ab 1993 kaschierte eine breite Treppen­anlage den Schlund. Mit dieser kam das Leben: Die Stufen dienten als Sonnenbank und Tribüne, die Rohre zog Skater an. Und auf dem Kleinen Schlossplatz etab­lierten sich ln-Treffs. Auch diese Szene gibt es nun nicht mehr. weiterlesen ...

Das Berliner Architektenteam Hascher/Jehle nahm eine subtile Stadtreparatur vor, die Erinnerungen aufgreift, ohne historizistisch zu werden, und die prag­matisch das Vorhandene nutzt, um ...daraus atemberaubende Kunstfluchten zu entwickeln. Das "Würfele": wie die Stuttgarter den Kubus getauft haben, reiht sich in die Kaufhausreihe ein, tritt sogar leicht zurück, um Platz zu gewinnen. Neue helle Trep­penanlagen rahmen die dunkle Sockelzone der aufragenden Kunstkaaba und binden sie an den Kleinen Schlossplatz an. Nachts kehren sich die Lichtver­hältnisse um: Blendend weißes Licht umfließt die Basis, wah­rend der aufragende Kubus durch seinen Kalksteinkern von innen heraus golden leuchtet. Die warme Farbe unterstreicht die Verbundenheit mit der Sandstein-Residenzstadt rings um. Dabei ist das abgehobene Schatz­kästlein bewusst nicht größer als das vormalige Kronprinzenpa­lais. Nur drei Ausstellungsebe­nen haben hier Platz, alle ande­ren Museumsräume liegen in der Tunnelrohre C und dem vier Stollen übergreifenden Zwischengeschoss. Gigantische Schluchten und dramatische Perspektiven tun sich auf. Wer abtaucht in die Unterwelt der Ge­genwartskunst, glaubt kaum, dass er noch immer im Verkehrs· strom von täglich 50.000 Autos steht.
"Angekommen!" - dem Titel der Eröffnungsausstellung ist die Erleichterung nach Jahrzehnten der Planungen und des Streits anzumerken. Endlich hat die Städtische Sammlung ein eige­nes Haus und darf sich Museum nennen. Der Ortsbezug, so ver­kündet die neue Museumsdirek­torin Marion Ackermann, ist Pro­gramm aus der Tradition des Sammelns schwäbischer Künst­ler heraus und durch die Adresse mitten in der Landeshauptstadt. Mit. Verve lockt die Kunst die Pas­santen in die Tiefe. Ein Vektoren­schwarm aus 334 Leuchtstoffröh­ren verdichtet und verwirbelt sich an der Decke des Foyers. Die Installation "Treibholz" des Stuttgarter Künstlers Andreas Schmid ist alltäglicher, dynami­scher Beleuchtungskörper und wegweisende Inszenierung in ei­nem. Sie strömt vorbei an der langen Bar, der Kasse und den Garderoben ins Herz des Museums. Vorbei an Jannis Kounellis' Flammen zischenden Eisenwän­den und Rebecca Horns Filmse­quenzen hinein in das Abenteu­er der 60 Meter Flucht, der Gra­ben: Brücken und Loggien. Am Ende wartet als Point de Vue die Videoarbeit "Umsonst ist der Tod" von Rene Straub, der afgha­nische Teppichmuster ineinan­der fließen lässt und militäri­sche Piktogramme unterschiebt.
An diesem Punkt kommen die Sammlungsstränge zusammen, die der ornamentalen Abstrak­tion der Hölzel-Tradition und der Konkreten sowie die der poli­tisch engagierten Kunst seit Otto Dix. Die Ausstellung lebt von Par­allelen und Kontrasten. Stim­men, Rhythmen, Klänge beglei­ten die Entdeckungstour und ­steigern die Neugier. Zwischen Altem und Aktuellem, zwischen Bestand, klug erworbenen Privatsammlungen und mutigen Ankäufen entwickelt sich ein erfrischender Diskurs.
Marion Ackermann weiß die gleitenden Räume dramaturgisch zu nutzen. Hölzels Glasfensterentwürfe schließen sich zu einer Kapelle. Die Arbeite seiner Schüler Johannes Itter, Oskar Schlemmer und Willi Baumeister erscheinen in neusachlichem Licht. In der Tunnelrohre c spannt sich der Bogen von Dieter Roths vielseitigem Werk zun Bienenwachstunnel von Rene, Straub; Ben Willikens abstrakt weiße Täterorte kontrastieren mit Markus Lüpertz Schwarz-Rot-Gold-Triptychon.
Selbst im Allerheiligsten, den Kalksteintresor für Dix, wird au Aktualisierung nicht verzichtet. Zu dem grafischen Kriegszyklus gesellt sich die Videoinstallation "Still men out there" von Björn Melhus, die Tonsequenzen au US-Kriegsfilmen farbig choreografiert. Mitten im Gemäldesaal umringt von dem glühenden

Großstadttriptychon, der Prager Straße, den Bordellszenen urn dem Triumph des Todes baumeln Kunststofftierkadaver aus der Werkstatt Bruce Naumans Zu dick aufgetragen? Die Drastik von Dix fordert das Extrem. Bloß keine braven Kunstgeschichten Kritik? Keine. Höchstens an den Materialkontrasten der Architektur und dem unterktihlten Kunstlicht.
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Parallele Täuschungen
, 2003
"pp1 zone" - Andreas Schmid in den pepperprojects - Räumen,
Tip, 12/03, 05.06.-18.06.2001
Katrin Bettina Müller, Berlin


Dies ist eine Ausstellung für den Blick von einem Sofa aus. Ganz allmählich gerät der kleine Wohnraum, in dem Jens Pepper seine Künstler vorstellt, näm­lich ins Schwanken, seit Andre­as Schmid einige wenige Linien auf die Wände und die Decke ge­zeichnet hat. weiterlesen ...

Anfangs scheint die Sache klar: Laufen diese bei­den Linien nicht einfach paral­lel? Aber dann merkt man, dass man ihre Biegung zwischen Decke und Wand nicht beachtet hat und aus der einfachen Pa­rallelität wird eine zweifache optische Täuschung. Der ganze Raum gerät plötzlich in Schräg­lage zu diesen beiden "Geraden".
So ist es auch mit den anderen Linien, die Schmid gezogen hat: Rechte Winkel und gerade Ach­sen verlieren ihre Selbstver­ständlichkeit. Die Linien ma­chen Vorschlage: gegen die ein­geschliffene Wahrnehmung des Raums. gegen das Einseitige der gewohnten Nutzung. Andreas Schmid selbst genießt die Schwankungen der Wahrneh­mung am liebsten vom Fußboden aus, auf dem Rücken lie­gend. Fehlt nur das Geräusch der Wellen.

Andreas Schmid ,.pp1 Zone·
pepperprojects,
Christburger StraBe 6, Prenztauer Berg, Di-Fr 14·18.30 Uhr, Sa 11-17 Uhr,
bis 21.6.2003
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Hard core
, 2002
Die Installation, ausgefüllt von den Ansichten und Sounds eines rasanten Berlin Squares, ist durch das Werk der Dichterin Ulrike Draesner inspiriert, South China Morning Post, 22.12.2002, Clarence Tsui, HongKong


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Seven Pieces for One Space. A Conversation
, 2002
Teilnehmer:
Peter Haimerl, Architekt, München
Isabel Mundry, Komponist, Frankfurt
Andreas Schmid, Künstler, Berlin
Claudia Seidel, Kunsthistorikerin, Stuttgart

Dieses Gespräch fand in Frankfurt im July 2002 statt.

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Mutlose Möblierung
, 2001
Eine Ausstellung über "Kunst am Bau" in Berliner
Ministerialbauten, 27/28.10.2001, Berliner Zeitung, Nr. 251
von Sebastian Preuss

Nach der Wiedervereinigung wurde Berlin zu einem Mekka der Kunst am Bau. Mit dem Architekturpark der neuen Bundesbauten wuchs zugleich ein ganzes Museum öffentlicher Kunst heran. Allein
der Bund investierte in Berlin dafür rund 70 Millionen Mark.weiterlesen ...

Zusammen mit den Kunstausstattungen in privat errichteten Bauten, etwa am Potsdamer Platz, in den Treptowers oder in der Friedrichstraße, dürften weit über 100 Millionen für Kunstaufträge
zusammengekommen sein.
Nun, da die meisten Projekte realisiert sind, lässt sich eine erste Bilanz ziehen. Als Erste geben das Bauministerium und das Bundesamt für Bauwesen im Staatsratsgebäude Rechenschaft über
das Kunstprogramm in den Bundesministerien. Die beiden Behörden organisierten die Auftragsvergabe für insgesamt zehn Ministerialbauten. Die Ausstellung bietet also genügend Material, um sich Wohl und Wehe der Kunst am Bau vor Augen zu führen. Aufschlussreich ist der Blick in die Konzeptschrift, die der Expertenbeirat für die Ministerienbauten im März 1998 vorstellte.
Das Gremium - darin die Museumsdirektoren Peter-Klaus Schuster,
Armin Zweite, Wilfried Wang und Klaus Bußmann sowie drei (nicht
ganz so illustre) Künstler - schlug damals 84 Künstler für 36 Standorte vor. Die Prominenz wie Ilya Kabakov, Rebecca Horn,Markus Lüpertz, Alf Lechner, Daniel Buren, Dan Graham oder Claes Oldenburg wollte man mit Direktaufträgen gewinnen, daneben waren hauptsächlich Einladungswettbewerbe mit meist nicht mehr als fünf Teilnehmern vorgesehen. Spürbar war der Wille, sich nicht in proporzkonformer Verbandskunst zu verlieren, sondern junge Talente (aus Ost und West) zu fördern und vor allem mit Künstlern von internationalem Rang Akzente zu setzen.
Dann kam im Herbst 1998 der Machtwechsel und der Kunstbeirat musste zuschauen, wie sein viel- versprechendes Programm zunehmend verwässert wurde. Viele der interessanteren Künstler schafften es nicht einmal in die Wettbewerbe. Man hörte von
Differenzen zwischen Kunstbeirat und Ministern, die Künstler ihres eigenen Geschmacks durchsetzen wollten oder sich an
"undemokratischen" Direktvergaben stießen.
So durfte Markus Lüpertz seine pathetische "Philosophin" nicht im Arbeitsministerium aufstellen, es scheiterten die Beauftragungen von Kabakov, Lechner, Graham und, besonders umkämpft, Claes Oldenburgs monumentales Pop-Fragezeichen für den Vorplatz des
Bundespresseamts. Für das prominent am Spreeufer gelegene Presseamt wurde stattdessen ein offener Wettbewerb ausgerufen.
Über 400 Vorschläge sind bereits eingetroffen - im Sinne der SPD-Kultur ein basisnahes Verfahren, das freilich nur selten erregende Ergebnisse hervorbringt.
Den traurigen Beweis liefert die Gestaltung einer ehemaligen Tordurchfahrt im Justizministerium. Im alten Haus Stern, einst Presseamt der DDR, beging der Bund die Erbsünde, den berühmten Saal abzureißen, wo Günther Schabowski die Maueröffnung verkündete. Als Ersatz wählte man für ein Schaufenster zur Mohrenstraße aus 427 Einsendungen Ulrich Schröders billig-ironische Nachstellung. Die übrigen Beiträge der
Endausscheidung waren allerdings noch trostloser. Allein Andreas Schmid und Andrea Pichl ragen heraus mit einem futuristischen Flugterminal voller sarkastischer Anspielungen auf Ostdeutsche,Juden, Kurden oder Asylanten. Hierfür verließ die Jury dann aber der Mut.
Doch darf man nicht jedes misslungene Projekt den Interessenskonflikten der Architekten, Beamten oder Kunstgewerkschaftler in den Preisgerichten zuschreiben. Selbst Künstler von hoher Reputation waren mit der Aufgabe oft sichtlich überfordert. Ein trauriges Kapitel sind die Dachterrassen im heiklen,
durch seine Nazi- und DDR-Vergangenheit belasteten Altbau des Auswärtigen Amtes. Hubert Kiecol versucht hier, den Ungeist durch
Hecken und geschmäcklerische Möblierung zu bannen, während Stephan Balkenhol vergeblich auf die Allmacht seiner Holzmenschen
setzt. Und auch Trak Wendischs Seiltänzer, zirzensisch über den Hof gespannt, wird wohl als hilflose Geste verhallen. Fraglos gibt es eine Reihe gelungener Beiträge, etwa Marcel Odenbachs neubarocken Deckenfries im Wirtschaftsministerium, Karin Kneffels Hochglanzmalerei im Landwirtschaftsministerium, Carsten Nicolais Techno-Raster im Arbeitsministerium oder Lothar Baumgartens kosmologisches Farbtafelsystem für das Bundespräsidialamt.
Doch offenbart am Ende der nie da gewesene Umfang des Kunstprogramms auch das nur monumental, was man schon lange
weiß: Kunst am Bau gelingt dort, wo sie die Symbiose mit der Architektur sucht, diese nicht übertrumpft oder als Galerieraum missbraucht. In den Berliner Ministerien liegen Glanz und Elend der öffentlichen Kunst wie ehedem eng zusammen. Staatsratsgebäude, Schlossplatz 1, bis 2. November. Di bis So 10-18, Do 10-20 Uhr. Einen Katalog gibt es nicht, stattdessen zu jedem Ministerium ein kleines Faltblatt.
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Rote Telefone nicht erwünscht
, 2001
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berliner Seiten, 25.10.2001
von Hanns C. Löhr

Kunst am Bau in den Ministerien: Was realisiert ist -und was fehlt

Zu den heimlichen Gewinnern des Haupstadtumzuges gehören die Künstler.
Denn kaum waren die neuen Ministerien in Berlin fertig, verlangten kahle Winde und leere Höfe nach Dekoration und Verkleidung. Um diese neue Berliner Leere zu füllen, organisierte der Bund seit 1996 mehre­re Ausschreibungen, bei denen Künstler Vorschläge zur inneren Ausgestaltung der neuen Bundesbehörden einreichen konnten. Zwei Jahre nach dem offlziellen Umzug zeigt jetzt eine Dokumentation des Bundesamtes für Bauwesen im ehemaligen Staatsratsgebäude, welche Werke der Bund für seine Berliner Häuser anschaffte -und worauf er vezichtete. weiterlesen ...


Die Entwürfe sind nach Ministerien ge­ordnet. Unter ihnen auch silberfarbene Reißzwecken mit denen Jan Hendrik Theissen im Bildungsministerium ein gro­ßes Wandbild gestaltet, das unbekannte Demonstranten der Leipziger Montagsdemon­strationen wiedergibt. Ebenso zeugen großformatige Bilder von den Farbkonzepten, die der Kölner Künstler Gerhard Merz für das 'Auswärtige Amt entwarf. Diese künst­lerische Ausgestaltung der Ministerien leitete seit 1996 der mit Experten besetzte Kunstbeirat der Bundesregierung. der um­fangreiche Konzepte erstellte, welche schließlich nach teilweise kontroversen Dis­kussionen mit den Bauherren in zwei öffentliche Wettbewerbe, 22 beschränkte Ausschreibungen und einige Direktaufträge an Künstler mündeten. Die Dokumentation der Bilder und Skulpturen, die für die Ministerien entworfen wurden, zeigt somit nicht nur einen Querschnitt durch das künstlerische Schaffen, sondern ist auch das Ergebnis von Kompromissen.
Unter den Künstlern mit Direktauftrag sind Rebecca Horn ( lnstallationen im Bun­desrat und im Bauministerium) und Marcel Odenbach (Fries im Wirtschaftsministerium und Installation im Justizministerium), aber auch zahlreiche Unbekannte, die mit ihren Arbeiten die Bauherren überzeugten. Der Vergleich zwischen den eingereich­ten Entwtürfen und dem, was der Kulturbeirat schließlich erwarb, zeigt jedoch deutlich einen Zug ins Konservativ-Monumentale: Ein großer, goldener Säugling im Innenhof des Familienministeriums (von Ursula Sax) scheint als Teil eines riesigen Krippenspieles übrig geblieben zu sein.
Das BIld eines übermannsbohen, roten Büffels (von Felix Droese) im Sozialministerium will dagegen vermutlich die Bären am Arbeitsmarkt provozieren. Die Skulptur "Courante" (von Robert Schad) im lnnenhof des Flnanzmjni­steriums weckt mit monumentalen Stahlrin­gen dagegen die Assoziation von riesigen Eurostücken, die Hans Eichel mal kurz aus dem Fenster geworfen hat.
Interessant an der Ausstellung ist auch das, was nicht den Beifall der Bauherren gefunden hat: Im Justizministerium setzte Ulrich Schröder beispielsweise das Verlangen vieler DDR-Bürger nach Ausreise in eine großflächige Skulptur um, bei der 30 Stühle "auf einer schiefen Ebene als imaginärer Wartesaal die Erschütterung des ostdeut­!schen Systems veranschaulichen sollen. Was so aber durchaus auch als Symbol fur den Regierungsstil stehen könnte, durch Aussitzen Probleme zu lösen, hatte eine zugkräftige Alternative: So entwarfen An­dreas Schmid und Andrea Pichl zum gleichen Thema eine riesige Abflugtafel mit den Reisezielen der Freiheit. Auch andere Entwürfe wollten sich die Behörden erspa­ren: So gab es beispielsweise den Vor­schlag im Vestibül des Bildungsministeri­ums mit einem Haufen roter Telefone oder mit 200 kandierten Orangenschalen den Besucher zu empfangen.. Dieses und anderes verhinderten jedoch die Auslober. Obwohl die neuen Ministerien bezogen und eingerichtet sind, will der Bund auch in Zukunft nicht nachlassen, Kunst zu erwerben. So bekräftigte Bauminister Bodewig, daß die Bundesregierung auch in Zukunft ihre ,,kulturellen Verpflichtungen" erfüllen wolle. Die deutschen Künstler dürfte das er­freuen.

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The art of lines
, 2000
The Big Bend Sentinel, Kunst Kolumne, Locker Plant_Marfa_USA Chinati ,14.12.2000
von Christopher Ruggia

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Ausstellungseröffnung am Samstag für Chinati´s artist in residence Andreas Schmid
, 2000
The Big Bend Sentinel, Vol 67, No 40,
14.12.2000, Foto: Robert Armendariz

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Frei wie ein Vogel
, 2000
Andreas Schmids Konzeptkunst in Berlins Galerie am Prater
Der Tagesspiegel, Berlin, 15.09.2000
von Knut Ebeling T

Im Berliner Modernisierungswahn passiert es manchmal, dass man die Zeichen vor lauter Schildern nicht sieht. Zum Beispiel im Verkehr: man schaut auf die Straße und entdeckt so viele Schilderschichten, dass man sich fragt, welche denn nun die gültige ist.
Für solche Situationen zeichentechnischer Unentschiedenheit interessiert sich der Berliner Konzeptkünstler Andreas Schmid. Auf einem Foto mit dem Titel "Boden Shanghai 1998" nahm er eine Straßenkreuzung aus der Vogelperspektive auf, auf der sich verschiedene Zeichenschichten überlagern: die der chinesischen und die der englischen Straßenbemalung.weiterlesen ...

Andreas Schmid, 1955 geboren, ist nicht nur künstlerischer Spezialist in zeichentechnischen Dilemmata, sondern verbrachte auch den größten Teil seiner artistischen Karriere im Reich der Mitte. Dort studierte er Kalligraphie und Siegelschneiden, kuratierte und diskutierte eifrig, und brachte das alles in seine Kunst ein. Was man ihr auch ansieht, denn der größte Teil von Schmids Arbeit erinnert an konzeptualisierte chinesische Schriftzeichen.
In seiner jüngsten Berliner Ausstellung weitet Schmid sein Thema auf die Bereiche Stadt und Raum aus. Die Anwendung des konzeptuellen Ansatzes auf den urbanen Raum tut beiden gut: Der Konzeptkunst verhilft sie zu mehr Anschaulichkeit und der urbane Raum hört auf die Addition verschiedener Architekturen zu sein. In den besten Stücken seiner Ausstellung erreicht Schmid eine Verfremdung seines Gegenstandes, der den Besucher auf die Straße blicken lässt, wie ein Vogel.
Mit seiner systematischen Vogelperspektive stellt Schmid die dringende Frage nach dem Zustandekommen und der Verfasstheit von Räumlichkeit: Was sind Räume? Wie werden sie gemacht? Und was hat das mit uns zu tun?

Tennisplätze ohne Netz
Eine zentrale Antwort Schmids könnte lauten: Wir bewegen uns nicht in vorgefertigten Räumen, die mit uns nichts zu tun haben, sondern die Räume produzieren selbst die Verhaltensweisen, mit denen wir in ihnen handeln.Zum Beispiel auf dem Spielfeld. Das erste Wandfoto der Ausstellung zeigt zwei verwaiste Tennisplätze ohne Netz und Spieler.
Hier hat lange keiner mehr gespielt.Wimbledon sieht nicht so aus. Doch Schmid interessiert sich weniger für die leicht melancholische Ansicht der Plätze, sondern für die Regeln ohne Spieler.
Die spärlichen Linien auf dem Platz regeln alle Akrobatik auf ihm. Genauso wie ein paar Linien in einem Stück Asphalt Menschen dazu veranlassen in eine bestimmte Richtung zu fahren. Im Galerieraum nimmt Schmid die Linien des Tennisplatzes auf und läßt sie frei. Er sprengt die Raumordnung ohne aber eine neue vorzugeben. Als wolle er den Boden der Galerie markieren wie ein Spielfeld, beklebt er ihn mit einigen Metern Klebestreifen. Dazu gesellen sich spartanische kalligraphische Linien an den Wänden. Doch die zerstreuten Linien auf Wand und Boden führen nirgendwohin; sie ergeben kein Ganzes, keinen Weg und kein Spielfeld. Man kann sich nicht nach ihnen richten; sie produzieren so wenig Ordnung wie ein Haufen abgestellter Verkehrsschilder: abstrakter Zeichenmüll.
Der dritte Ausstellungsteil weist auf jenes Feld hin, in dem abstrakten Zechen der Spiele und der Regeln konkret zum Einsatz kommen: in der Architektur. Architekten bauen keine Räume für menschliches Verhalten, sondern die Menschen verhalten sich gemäß den Räumen und Regeln, die die Architekten bereitstellen. Jeder hat Raumstrukturen an sich, aber keiner hat sie selbst gebaut. So verweisen die Großbaustelle bei Nacht, die Architekturdetails des Berliner Jüdischen Museums oder die Straßenkreuzung in Shanghai auf die Frage nach der Organisation und Administration des Raumes, auf die Ordnungen, die durch Räume hergestellt werden, auf Spielregeln, die durch sie gesetzt und die Befehlsmächte die durch sie abrufbar werden. Man müsste schon frei, wie ein Vogel sein, um sie nicht zu verstehen.

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Rein in die Kunst
, 1998
Stefan Becker und Andreas Schmid im Overbeck- Pavillon,Lübecker Nachrichten, 01.02.1998
von Dirk Nolde

LÜBECK - Für's erste haben Stefan Becker und Andreas Schmid pro­biert, was sich so anstellen läßt mit dem Pavilion der Overbeck-Gesell­schaft. Becker hat Farbe auf die Fen­ster aufgetragen. Und dann haben er und Schmid sich angesehen, was mit dem Raum passiert. Drei, vier Tage ist das so gegangen. Bis Becker das richtige Rot, Gelb und Blau beisam­men hatte. Genau die Farben, die sowohl im Gleichklang als auch im Kontrast zu den grafischen Raumin­stallationen von Andreas Schmid ste­hen. "Wechselnde Geschwindigkei­ten" heißt das, was entstanden ist: zu sehen ab heute bei Overbecks. weiterlesen ...

Wichtig: die Ausstellung langsam betreten. Man geht durch die Außen­tür, deren Fenster Becker mit Farbe bedeckt hat, macht sie zu und wartet mal ein wenig, ehe man die lnnentür zum Foyer auftut, deren Fenster nun auch eingefärbt sind: Es ist so, als hätte sich ein Bild von Mondrian aufgetan, und man steht mittendrin.
Unter den Dingen, die Mark Twains "Tom Sawyer" dadurch einheimste, daß er das Streichen eines Zaunes als exklusiven Zeitvertreib an andere Kin­der verkaufte, war auch ein Stück far­biges Glas zum Hindurchsehen. Ein einfaches Vergnügen, ein simpler Ef­fekt, dennoch: eindrucksvoll. So funk­tioniert auch das, was Stefan Becker im Foyer eingerichtet hat. Durch ein großes, blaubemaltes Fenster hinter der Kasse kann man auf den Garten sehen. Die Farbschichten sind mit deutlichem Pinselstrich aufgetragen, das abstrahiert die Formen draußen: Mit dem Garten hinter dem Glas wird das Fenster zum monochromen impressionistischen Gemälde.
Bilder zum Begehen: Becker gestal­tet das Licht, Schmid zieht die Linien, und zusammen gelingt es ihnen, den Räumen eine emotionale Qualität zu verpassen. In die Kuben aus vier Wände haben die Künstler sozusagen dreidimensional Stimmungen eingelassen.
Die des ersten Ausstellungsraumes ist dabei zurückhaltend, abgeklärt, ruhig. Beckers gelb leuchtet milde auf vier Stahlseile, die Andreas Schmid von einer Wand zur anderen gezogen hat; das sieht so aus, als hätte jemand die Zeit gedehnt und im Raum die Flugbahn von vier Projekten markiert, die das Haus durchschlagen haben. An der rechten Seite dieses leisen Raumbildes lodert bereits das Rot aus dem Durchgang zum nächsten Teil der Ausstellung: Der Raum glüht kräftig, energisch leuchtet es von den Oberlichtern.

Gegen Beckers Rot geht Schmid mil einem dicken blauen Strich über drei Wände an und mit kraftvollen Linien auf dem Boden. Diese Spannung wird im letzten Raum dann abgekühlt mit Blau und einem Linienrhythmus aus eingefärbten Schnüren, die wie Morsezeichen auf die Wände gesetzt sind. Beim Rückweg ins bunte Foyer ergibt sich dann wieder ein anderer Spannungsbogen - je nach Wetterlage: Becker und Schmid haben die Beleuchtung ent­fernt und nutzen ausschließlich das na­türliche Licht. Besucher sollten darauf achten, diese inspirierte und inspirie­rende Ausstellung wenigstens einmal bei vollem Sonnenlicht zu sehen.

Bis zum 8. März. Eröffnung heute um 11.30 Uhr (Over­beck-Pavillon, Königstraße 11 ). Öffnungszeiten: diens­tags bis sonntags 10 bis 16 Uhr. Führungen sonnabends um 15 Uhr.
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Kalligraph in der Wüste
, 1997
Andreas Schmid, Stipendiat von Schloß Wiepersdorf, Der Tagesspiegel Berlin, 12.09.1997
von Nicola Kuhn

Einen Moment lang wirkte er überwältigt von der Überzahl an Atelierbesuchern. Und fast schien es, als wolle er alle wieder hin­ausschicken. Doch dann drehte Andreas Schmid den Spieß um und erklärte seinen Gästen freundlich, aber bestimmt, daß sie alle noch einmal wiederkommen müßten, möglichst einzeln, um die Kunst zu sehen. Denn jetzt stünden sie mitten im Kunstwerk und würden kaum etwas erkennen können. Füßescharren, irritiertes um sich Schauen und ungläubiges Nachfragen, ob denn dieser Strich auf dem Boden auch schon Kunst sei. weiterlesen ...

Inzwischen kann der Berliner Künstler da­rüber lachen. Die Besuchermassen des Som­merfestes auf Schloß Wiepersdorf sind davongezogen, und das Atelier gehört ihm wieder so gut wie allein. Ein letz­tes Mal wird er es dem Publikum frei­geben. wenn er zum Abschluß seines Sti­pendiums seine Ar­beiten präsentiert.
Dann geht für den umtriebigen Künst­ler eine viermonati­ge Phase des Inne­haltens zu Ende, und er kehrt zurück nach Berlin, wo schon nächsten Aufgaben warten: zum Bei­spiel die Eröffnung der Ausstellung chinesischer Fotografie im Neuen Berliner Kunstverein (ab 26. September). Schmid wurde um Mitarbeit bei der Auswahl von 16 Fotografen gebeten, denn seit seinem drei­jährigen Aufenthalt in China gilt Schmid als Kenner der dortigen Kunstszene.
So tritt der gebürtige Stuttgarter (Jahr­gang 1955) nicht nur mit eigener Kunst an die Öffentlichkeit, sondern auch als Kurator - zuletzt 1993 bei der großen China-Ausstel­lung im Haus der Kulturen der Welt. Die Ori­entierung zum Fernen Osten findet durch­aus ihren Widerhall in den eigenen Arbei­ten. Denn während seines China-Aufent­halts absolvierte Schmid nicht nur ein ein­jähriges Sprachstudium in Peking, sondern er hängte noch zwei Jahre in Hangzhou in Kalligraphie an. Auch in Schmids Zeichnun­gen findet sich eine Konzentration auf die Linie im Wechselspiel mit der sie umgeben­den weißen Flache. Inzwischen hat sich die­se Linie verselbständigt; sie ist in die dritte Dimension vorgestoßen und benutzt den Raum selbst als konstituierendes Moment.
Mit Hilfe gefärbter Seile verspannt Schmid ganze Räume und gibt ihnen damit eine völ­lig neue, energetische Aufladung.
Eine der wohl poetischsten Arbeiten ent­stand vor einem Jahr in Wiepersdorf selbst unter dem Titel "Im Wald des einzigen Bil­des". Fünfzig Meter lange, gelb gefärbte Taue stellten eine diagonale Verbindung zwischen den hochaufragenden Tannen des Wiepersdorfer Forstes und der Horizontale eines angrenzenden Ackers her. Geblieben sind von dieser Aktion nur die Fotografien. Doch die Vergänglichkeit ist Teil des Kon­zepts; nur für eine Zeit des Übergangs wird ein Terrain markiert, künstlerisch aufgela­den. Ebenso verhielt es sich bei der Aktion "Wüste fegen" vor zwei Jahren im Prenzlauer Berg. Über Tage hinweg kehrte Schmid die 2100 Quadratmeter große Sandfläche ei­nes Baugrundstücks glatt, um sie an­schließend wie ein Kalligraph zu gestal­ten: statt mit Tusche mit ausgehobenen Graben und Seilen.
Zu den schönsten Wiepersdorfer Zu­fallen gehörte da das Wiedersehen mit dem chinesischen Dichter Yang Lian,
ebenfalls mehrmo­natiger Gast. Vor zwölf Jahren hatten sich die beiden in Peking kennengelernt, als Schmid die große Romantiker-Ausstellung
der Neuen Nationalgalerie mitbetreute. Die Begegnung mit Künstlern anderer Sparten, das interdisziplinäre Gespräch, gehöre über­haupt zum Wichtigsten auf Schloß Wiepers­dorf, resümiert Schmid. Ihn zog es vor allem zu den Musikern, dem polnischen Komponi­sten Maciej Zoltowski und der Engländerin Carolyn Wilkins: "Man besucht sich im Ate­lier. bespricht Arbeiten. manchmal entsteht etwas Gemeinsames."lhn zieht es nicht nur in den Raum, sondern auch zur Musik. Da berühren sich Sprachen, bei zeitgenössi­schen Komponisten finden ähnliche Prozes­se statt", erklärt er. Wer weiß? Er hat ldeen und Projekte mitgebracht. Nach dem Inne­halten in der Abgeschiedenheit geht es nun an die Umsetzung.
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Jeder Raum hat seinen Rhythmus
, 1997
Künstler und Gäste feiern in Wiepersdorf Geburtstag – Andreas Schmid "Jeder Raum hat seinen Rhythmus", Text und Foto von Uwe Klemens
Märkische Allgemeine, 09.08.1997

Vor al­lem die Künstler, die derzeit als Stipendiaten im Haus le­ben und arbeiten, bereiteten sich in den vergangenen Ta­gen intensiv auf das am heuti­gen Samstag beginnende Sommerfest auf ihre Weise vor.
Eine offen stehende Tür im alten Heizhaus vor wenigen Tagen lud ein, schon mal vor­ab einen Blick hinter die Ku­lissen zu werfen. weiterlesen ...

Mit starken Seilen im nüchtern-kahlen aber von Sonnenlicht durch­fluteten Raum arbeitet der 1955 in Stuttgart geborenen und heute in Berlin lebende Künstler Andreas Schmid.
"Jeder Raum hat seinen Rhythmus" sagt der einst Ma­lerei und Kalligrafie Studie­rende bei der Betrachtung seiner quer durch den Raum gespannten Drahtseile. Über den Umweg der Zerstörung dieses natürlichen Rhythmus ( also des Zusammenspiels der Formen von Wänden, Fenstern, Deckenkonstruk­tionen, der Farben, unter­schiedlichen Materialien, des tageszeitbedingten Lichtein­falls und den sich damit ver­ändernden Schattenspielen und so weiter) durch Hinzu­fügen fremder Elemente hofft er die Wahrnehmung für die Natürlichkeit zu schärfen.
Mehr oder weniger irritiert von den scheinbar willkürlich quer im Raum gespannten Seilen, den von ihnen gewor­fenen Schatten, die der Künstler teils mit dem Trenn­schleifer tief in den Boden einarbeitet und mit Farbe auffüllt, sucht der Betrachter nach dem Schlüssel, um das "Warum" dieses Umweges zu verstehen. Blättert man im Katalog der verschiedene an­dere Projekte des Künstlers dokumentiert, spürt man: Seine Arbeiten haben etwas von dem Charakter des Er­lebnisses, mit nackten Füßen am Ostseestrand entlangzu­laufen und irgendwann auf die einsame Spur in der un­endlichen Weite hinter sich zu blicken.
"Wüste beleben" hei6t fol­gerichtig eine seiner Arbei­ten, in der er inmitten des Geschehens einer Großbau­stelle eine Sandflache in ta­gelanger Mühe mit dem Be­sen glättete und dann mit we­nigen gleichförmigen Mu­stern versah. ,,Räume neu zu strukturie­ren" nennt Andreas Schmid sein Erlebnis, das ihn dieses auf immer wieder neue Weise wiederholen läßt.
Wahrend des Sommerfe­stes will er durch Gespräche den Besuchern helfen, die neustrukturierten Raume zu erleben. Eine zweite, viel­leicht etwas weniger schwer zu verstehende, Arbeit von ihm befindet sich im Zen­trum des Schlossparks. Zu Füßen der hier als Skulptu­ren versammelten Götter und Göttinnen befestigte er selbst gefertigte Fotografien. Das auf ihnen Abgebildete spielt mit dem Wesen der Götter und bietet Gelegen­heit sich mit ihnen auseinan­derzusetzen.
Noch bis Mitte September ist Andreas Schmid Gast in Wiepersdorf. Die wichtigste Erfahrung seines bisherigen Aufenthaltes ist die des ge­genseitigen Austausches ver­schiedenster künstlerischer Genres. Es geht darum, Be­rührungspunkte zu finden, um dann plötzlich die Spra­che des anderen zu verste­hen. Besser konnte man das Anliegen des Hauses an des­sen fünften Geburtstag kaum beschreiben.

Text und Foto: Uwe Klemens
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Landschaftslinien
, 1997
Schmid bei Heppächer, Feuilleton Stuttgarter Zeitung, 17.04.1997

Ein spannendes Spiel mit Linien erwartet die Besucher der Galerie im Heppächer in Esslingen,. die neue Werke von Andreas Schmid ausstellt. Ob Fotografie, Zeich­nung, Malerei oder Installation - die Arbei­ten Schmids kreisen um die Frage, wann Fläche, wann Raum entsteht. weiterlesen ...
Zwischen zwei Winden gespannte Selle führen in der Rauminstallation "Lagen" die Bewegung und das Auge des Betrach­ters, lassen immer wieder neue Lauf- und Blickrichtungen entdecken. Die sich kreu­zenden, auf- und absteigenden Seil-Linien scheinen sich im Fenster zu spiegeln, sind tatsächlich aber im außenliegenden Hof weitergeführt, schaffen eine Verbindung zwischen innen und außen. Jalousien geben in der Installation ,,Passage" interessante Durchblicke und versperren zugleich die Sicht auf eine im Raum schwebende Fotografie mit Erinnerungsfiguren für ver­storbene Kinder in einem chinesischen Tempel.
In seinen Fotografien und Zeichnungen hält Schmid dokumentarisch fest, wie er mit Hilfe von Linien Landschaften zu Räu­men oder Plastiken verwandelt. Die Bilder der Ausstellung, die wie Objekte präsen­tiert sind, und eine Wandmalerei, die der in Berlin lebende Künstler eigens für diese Ausstellung geschaffen hat, variieren das Thema der Lagen. Die sparsamen Mittel, die Andreas Schmid einsetzt, fordern ei­nen intensiven Anschauungsprozeß und schicken den Betrachter auf eine Entdeckungsreise, die im Kopf endet.
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Der Linie vertrauen, Einsichten wagen
, 1997
Stuttgarter Nachrichten, Jahresausstellung Deutscher Künstlerbund, Nürnberg, Stuttgarter Nachrichten, von Nikoalai B. Forstbauer

Offizielle Bauten sind in Nürnberg noch immer imposant, und so hilt sich auch die Kunst im öffentlichen Raum an tradierte Maßstäbe. Subversiv natürlich, zumindest wollen wir dieses Anliegen Dani Karavan und seinen in Beton gegossenen Menschenrechts-Säulen zugute halten.

Das Werk flankiert bekanntlich die jüngste Erweiterung des architektonisch (also auch gedanklich) auf vielfaltige Weise in sich verflochtenen, räumliche und gestalterische Widersprüche provozierenden Germanischen Nationalrnuseum in Nürnberg. weiterlesen ...


Eben dort präsentiert der Deutsche Künstlerbund seine 44. Jahresausstellung. ,.Zeichnen" heißt die Schau, und ausschließlich um Gezeichnetes (auf Papier, auf der Wand, auf Holz oder Glas) geht es auch. 159 Arbeiten von 81 Künstlerinnen sind zu sehen (zur Jurierung waren 650 Werke von 2.43 Künstlerinnen eingereicht). Die Bestandsaufnahme lockt die Besucher in einen hallenartigen, durch eingestellte Eck- und U-Wandelemente klug unterteilten Ausstellungsraum. Der "scharfe Blick", von der Künstlerbund-Schau 1995 in Bonn versprochen -hier bestätigt er sich. Das kleine Format und das Vertrauen in die Linie zeigen ihre Krallen. Die Kunst ist ganz bei sich -und entsprechend dem Medium vor allem der Analyse verpflichtet. Dies beginnt schon mit der Wandzeichnung von Andreas Schmid, in der sich konstruktives Erbe mit unbekümmertem
Material-Mix (Farbe, Schnur) verbindet. Heike Pallanca thematisiert auf Schultafellack die aus ihrer Ausstellung im Stuttgarter Künstlerhaus bekannte .,Verführung zum Voyeurismus"; der viel ältere Rudolf Schools überrascht mit einer präzisen Kommentierung der "Das Medium ist die Botschaft"-ldeologie, verbindet Monitor und CD-Spieler, respektive Plattenspie­ler zu einer kühlen Technik-Figuration; das 'TV·Rauschen selbst formiert sich in den Blättern von Andreas Günzel zur auto­nomen Struktur.
Das Spektrum ist angerissen -reicht von neukonzeptuellen Positionen bis zu strukturellem Subjektivismus. Ein weites Feld, in dem auch die Realisten Dieter Asmus, Astridt Brandt und Matte Sartorius oder gestische Figurationen von Max Uh­lig und Walter Libuda und Figur/Raum- Szenarien von Roland Dörfler oder Cor­dula Güdemann Platz haben.
Zeichnen ist eine stille Angelegenheit, verzeiht schon im Linienansatz kaum einen Fehler und fordert auch vom Betrachter reichlich Konzentration. "Zeichnen" also ist durchaus auch eine kunstpolitische Ausstellung, fordert von den Künstlem eine Rückkehr zum Wesentlichen. Dabei muß, wie die Beiträge der Solitude-Stipendiatin Katharina Hinsberg, Künstler­bund -Förderpreisträgerin Suse Wiegand, von Altmeister Fritz Schwegler, von Friedrich Einhoft oder Thomas Huber zeigen, dem Einzelblatt nicht das Wort geredet werden. Ja umgekehrt geraten eher künstlerische Äußerungen unter Druck. Arbeiten von Barbara Keidel, Uwe Meier-Weitmar oder Mark Lammert (alle Berlin) etwa, von Werner Maier (München) und Verena Vernunft (Hamburg).
"Zeichnen" rührt am Rand des Betriebssystems Kunst -und meint doch dessen Mitte. Da muß uns ein leicht zu übersehender Beitrag wie die ,,Musiknest"·Skizze des Berliners Rolf Julius einfach sympathisch sein ... Zeichnen" behauptet Präzision - auch bei der strukturellen oder geometrischen Konstruktion von Gedankenräumen. Hier überzeugen vor allem Horst Bartnigs (Berlin) Reihe ,.450 Unterbre­chungen", Paul Uwe Dreyers (Stuttgart) dynamische Raumuntersuchungen und Klaus Staudts (Offenbach) "Fugen"· Rhythmik.
Schließlich bleibt es einem Altmeister überlassen, die Kunst-über-Kunst mit individueller Suggestjon und bildimmanenten Untersuchungen zu verbinden: Drei Blätter von Rupprecht Geiger (1961, 1972 und 1987 entstanden) belohnen die Besucher mit analytischer Poesie.
.,Zeichnen" erlaubt Blicke in die Werkstatt. lockt in die Auseinandersetzung mit künstlerischen Präsentationsstrategien - allzu aufgesetzt wirkt in diesem Feld Constantin Jaxys "Skizzenbox" -und hinter­fragt in ihrer Zusammensetzung Konstanten des Ausstellungsbetriebs. "Zeichnen" ist eine stille Jahresausstellung: zurückhaltend genug, um kraftvoll das wiederer­wachte Selbstbewußtsein des Deutschen Künstlerbundes zu demonstrieren.

(Bis zum 6. April, Katalog 35 Mark).
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Von der Linie zur Fläche
, 1997
In der Galerie am Heppächer schafft Andreas Schmid Phantasie mit Verbindungen, Esslinger Nachrichten, 15.04.1997

Esslingen (vlt) -Der Anfang ist ein Punkt. Dann noch ein Punkt. Schließlich eine Linie als Verbindung. Eine weitere Linie kann schon Tiefe erzeugen. Eine dritte Linie ist für einen Körper notwendig. Aber so welt geht Andreas Schmid meist nicht. Seine Linien verlaufen oft parallel. Welche Räume sie dennoch öffnen, ist in seiner Ausstellung in der Galerie Heppächer zu sehen.
Etwas verwirrend wirkt die Installation “Lagen" auf den ersten Blick. Im wuchtigen, mit dicken Holzbalken abgestützten Raum der Rothfuss'schen Galerie hängen Seile. Von der einen Wand baumeln sie zur gegenüberliegenden, parallel, verschieden hoch, überkreuzend. Der Betrachter muß drunter weg und zwischendurch laufen. Doch der Raum ist nicht allein. In den Fenstern spiegeln sich die Seile. Nein, viel mehr: hinter (vor?) den Fenstern hängen weitere. Die Arbeit findet ihre Fortführung Im Außenbereich der Galerie. Der Innenraum bekommt einen Außenraum und die Seile bringen beide erst ins Bewußtsein.weiterlesen ...

Für Dr. Otto Rothfuss stellen sich die Assoziationen von Schiffen ein, von Spannkraft, das Lockere und das Gespannte ¬– “etwas zieht sich durch!" Die filigranen Schnüre durchschneiden den Raum, stehen miteinander in Verbindung und schaffen viele kleine Räume. So wie in dem großen Schwarzwelß-Bild von Tokio. Die Linien sind dabei die Umgrenzungen der Hochhiluser, die parallel verlaufen, einen Raum bilden und miteinander in Verbindung stehen. Oder die Installation ein Stockwerk höher. Mehrere weiße Aluminiumjalousien hangen parallel und !assen kleine Spalten zum Durchblick offen. Linien auch auf Fotografien. Linien Im Sand, Linien aus Sand. Schnitte Im Boden, rote Striche auf Millimeterpapier, Eingeritztes In Stein. Auf einem grünen Feld wirken schräg einfallende Seile wie die Rettungsleinen eines großen Luftschiffs. Sie schaffen Raum und grenzen ihn ein. So wie die Bilderrahmen ohne Bilder von Gerold Miller ein Außen- und ein Innen schaffen, ohne etwas vorzugeben, es kommt nicht auf den Inhalt, sondern die eigenen Phantasien an. “Die Linie vermittelt die tiefsten Erkenntnisse", sagt dann auch Schmid.
Ob Schnitte an der Wand oder begrenzende Striche auf weißen Bildem: “Man kann der Linie oder dem tatsächlichen oder dem imaginären Raum begegnen" sagte Dr Rothfuss bei der Vernissage, “diese Freiheit läßt uns der Künstler." Die Mittel scheinen Schmid mittlerweile egal zu sein. In seiner vierten Ausstellung im Heppächer verwendet er erstmals Fotografien, Plastiken, Malerei. Der Phantasle durch Kunst ist alles recht.



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Schnitte im politischen Raum
, 1997
Installation von Andreas Schmid, Kunstzeitschrift neue bildende kunst, Berlin, 3/97, Chronik, S.91, Renate Damsch-Wiehager, Esslingen

Esslingen, Sommer 1994: Unübersehbar, mit signalrotem Grund beherrschen Plakate mit der Überschrift “Kulturstandort Deutschland" sämtliche Kultursäulen im Zentrum der Stadt. Unter dem Titel sind die durchgestrichenen Namen erlauchter deutscher Kulturinstitutionen lesbar: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Bach-Akademie Leipzig, Bauhaus Dessau, Kunstfonds etc.weiterlesen ...

Eine Fußnote auf dem Plakat klärt über die Bedeutung der Liste auf: Sämtliche aufgeführte 23 lnstitutionen und Organisationen seien durch Sparmaßnahmen des Bundes gefährdet. Von der formal reduzierten Plakatarbeit Andreas Schmids, entwickelt fur die Ausstellung. “Widerstand -heute?!" (anläßlich der 50. Wiederkehr des Attentats auf Hitler), ging bereits ein starker apellativer Impetus aus.
Eine wichtige Zuspitzung allerdings, die den Betrachter nicht nur als Wahrnehmenden, sondern als politisch Handelnden ernst zunehmen und auf sein aktives Widerstandsrecht zu verpflichten suchte, erfuhr der Beitrag von Schmid durch sein Insert in der Katalogbox: Die Kunstinteressierten erwarben eine vorbereitete Postkarte, abzusenden an das Bundesministerium des Innern, bedruckt mit der Aufforderung, sich fur den Erhalt der genannten Institution en einzusetzen.
Esslingen, Frühjahr 1997: lm Erdgeschoß seiner Ausstellung in der Galerie im Heppächer konfrontiert Andreas Schmid die Besucher mit zwei kontrovers argumentierenden, radikal definierten architektonischen Räumen, die einmal mehr unser geistiges Vermögen, die Fähigkeit zu Überschau und Vergleich aus reflektierender Distanz ansprechen, einmal mehr und unmittelbarer unsere physische Präsenz als Teilhabe einer abstrakt gedeuteten Welt.
Der Künstler hat eine nicht komponiert erscheinende Schwarzweißfotografie. die er von einem Tokioter Hochhaus aus gemacht hat, auf Raumhohe vergrößert.
Der Wald von Wolkenkratzern auf dem Foto scheint sich mauerartig formiert zu haben, um endgültig den Menschen aus seinen selbst erschaffenen Paradiesen kapitalistischer Fortschrittseuphorie auszugrenzen. Den Betrachter befällt ein namen- und begriffsloses Staunen, daß dies seine Welt sein soll?

Im angrenzenden Erdgeschoßsaal der Galerie dann eine Ausgrenzung ganz anderer Art, und zwar eine, die das Gedeutetsein des Raumes als Erfahrung menschlicher Existenz dahingehend aktiviert. daß wir physisch und mental Bestandteil werden von plastisch-zeichnerischer Dynamik. von Transparenz gekennzeichneter. vielleicht auch als transzendent zu bezeichnender Raumerfahrung.

Schmid hat fünf rostrot gefärbte Seile als aktiv gerichtete, gleichsam selbstbestimmt erscheinende Lineatur so durch den Raum gespannt. daß dieser in Schichten und “Lagen". so der Titel der Arbeit, erfahren wird. Die energetische Aufladung von Architektur und Raum setzt sich, sichtbar durch die Fenster, im Außenraum fort, wo der Künstler die Seile quer durch den zur Galerie gehörenden Innenhof als fragile Zeichnung aufgespannt hat. Man muß die Fotoarbeit und die “Lagen" von Andreas Schmid, der drei Jahre in China gelebt hat und mit diesem Kulturraum eng vertraut ist, zusammen sehen und darf das kontroverse Nebeneinander mit der die chinesiscbe Mentalität kennzeichnenden Abneigung gegen Einseitigkeiten und gegen Extreme in Verbindung bringen. statt dessen zeichnet es das chinesische Weltbild aus, Entgegengesetztes in seiner gegenseitigen Bedingtheit, als Erscheinungsweise einer höheren Harmonie zu begreifen und zu akzeptieren. Die Thematik der ,,Lagen" als räumliche Schichten wie auch als Schichten von Bedeutungszuweisungen, oder im Sinne von Zuständen. Umständen, Beschaffenheiten hat Schmid in den vergangenen Jahren unter höchst verschiedenen Bedingungen ausgelotet. Die Schnittzeichnungen der Jahre 1993/94 werden zunächst in Ausstellungsräumen in Gestalt von Boden- oder Wandarbeiten mit Klebebändern, Farbe, Schnüren und Schnitten in räumliche Dimensionen übertragen. Daß es aber Andreas Schmid nie ausschließlich um einen ästhetisch hochgespannten Formalismus geht, sondern seine zeichnerisch-plastischen Argumentationen ihre Verankerung und Begründung in einer zugleich melancholisch stimmenden wie zu offenem Widerspruch anstiftenden Analyse unserer Lebenswelt haben - das ist vielleicht zuerst in seiner Plakatarbeit für Esslingen 1994 deutlich geworden.
Eine schlüssige Fortführung hat dieser Ansatz in Schmids Installationen fur den Tübinger Hölderlinturm 1995 gefunden. Er hat dort verschiedene mediale Ebenen, Zitate. Wandzeichnung, Raumverspannungen innen und außen so zusammen geführt, daß die Zerrissenheit des Menschen Hölderlin, die auch die Zerrissenheit unserer Epoche ist, physisch und geistig nachvollziehbar wurde.
.,Gelbes Echo" ist 1995 der Titel eines zeichnerischen Eingriffs mit 30 Meter langen Schnüren im Wald von Tsukui. Im gleichen Jahr entsteht im Stadtraum Berlin die Arbeit “Wüste fegen", welche auf einer vom Künstler glatt gefegten Fläche von 2100 Quadratmetern mit schmalen Gräben und Stellen eine strenge Kalligraphie, einen geistig bestimmten Ort inmitten verwüsteten Ödlands entstehen läßt.
Ein wichtiger Vorläufer für die Esslinger “Lagen"- lnstallation ist 1996 Schmids Arbeit fur Wiepersdorf, wo die scharf und punktgenau gespannten Seile in der Natur eine höhere Harmonie von Entgegengesetztem schufen. eine Synthese von Vertikalität und Dichte des Waldes im Gegensatz zur horizontalen Erstreckung des angrenzenden Feldes. In der Esslinger Ausstellung sind die genannten Arbeiten in Form von Fotografien und zeichnerischen Gedankengängen präsent. ergänzt um einige eigenständige fotografische Arbeiten, “gefundene" Bodenlineamente auf einem Sandplatz in Kyoto oder eine Farbfotografie aus dem Hasederatempel in Japan, deren Sichtbarkeit, und das heißt im übertragenen Sinne deren kulturell verankerte inhaltliche Bedeutung, dem Betrachter durch die strenge Lineatur von Jalousien entzogen ist. Auch bei dieser Arbeit mit dem Titel “Passagen" sind die “Lagen" und Schichtungen im Raum zu übersetzen im Sinne einer Reflexion der Erfahrung von Transparenz und Transzendenz als konstituierendes geistiges Vermögen des Menschen.

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Ein weißer Raum nur im Bereich der Ahnung
, 1996
Mein Favorit in der Graphischen Sammlung (II): Andreas Schmid`s paper work "Ritzung"
Esslinger Zeitung, 28.09.1996, von Bernard Tewes

Esslingen - Wer sich keine Zeit nimmt - flüchtiges Hinsehen: ein weißes Blatt, fast nichts drauf - geht vorbei. Was schon: Schnitte in weißes Papier, am Rande zusammenhängend. Nähme man das Blatt aus dem Rahmen, es hielte nicht einmal die Form (man konnte es in Streifen schneiden und zum Beispiel hübsch flechten, um ihm eine Form zu verpassen (wie es Henk Peeters in einem seiner Blättchen im Foyer vormacht).weiterlesen ...

Doch es bleibt hängen, im Kopf. das Bild - und stößt man erst eine Etage höher auf Helmut Stromskys Arbeit, beginnt es zu arbeiten: Stromsky bedient sich einer ähnlichen Technik wie Schmid: im rechten Winkel zu einer markant geprägten Vertikalen sind parallel Ritzungen eingewirkt, wie eine Antenne um den Mast gereiht. dort graphitverstärkt, sich ausnahmslos nach rechts verjüngend, verdünnend, ausgerichtete Sensoren, ein sich verdichtendes Datenfeld mit Unscharfen am Rande, da, wo die Prägungen zart ansetzen, wo feinste Berührung dem Karton zu widerstehen beginnt und die Markierung ins Offene des weißen Grundes mündet. Zurück zu Andreas Schmids ,,Ritzung": Jahrtausende von Stromsky entfernt, nichts lnstrumentales zeigt sich hier. Nach einer Weile schlagen einem die gewaltigen Lamellen der Erkerfensterverhängung in der Villa ins Gesicht, vertikale Stormanöver eines amorphen Geschehens. Die "Ritzungen" sind eher Schnitte mit einem Papiermesser, Verletzungen der farblosen Oberfläche, auf der nichts an illusionierte Formen und Räume, an irgendetwas erinnert, es sind rudimentäre Wahrnehmungen von etwas überhaupt, es sind originäre Erkenntnisse, noch orientierungslos ohne Fadenkreuz, im Horizontalen verbleibend, sich verdichtend rhythmisches Echo einer “Idee", Raum suchend und ihn findend im “Schnitt" durchs in sich selbst ungestaltete Weiß des Papiers.
Natürlich ist das nichts Neues. Kenner verweisen zum Beispiel gleich auf Lucio Fontana, auf sein unvergleichlich eindrucksvolles .,Concetto spaziale" (in der Stuttgarter Staatsgalerie) - aber was für ein Unterschied! Schon das Material ist materieller. Leinwand, makellos weiß, mitten drin ein vertikaler, mit deutlichem Willen gezogener Schnitt, einem hier auseinander klaffenden Schlitz, einem Raum­Loch, den Blick in darunter schwarz gefaßten Grund ziehend, in ein dunkles unendliches All, Öffnung aus zweidimensionaler Fläche in eine Wirklichkeit, die "Raum'' ist und illusioniert, aber keine Bildwelt mehr zuläßt und erträgt, ,,tabula rasa" alles Vordergründigen im Bewußtsein seiner Begrenztheit, ein Durchstoßen, ja schmerzliches Verletzen üblicher Bildorientierungen, hinein in ein noch dunkles Ganzes, die Intuition des Eintauchens in Tieferes als die Oberfläche zugibt.
Vor Schmids Bild muß man länger verweilen. Seine Schnitte sind tastender, sensibler “Raum" liegt noch im Bereich der Ahnung, ist beinahe noch zeichnerisch, erkundet sich in den vorsichtigen Lösungen am Rand der Papierschnitte.
Eine Erfahrung vom Nichts ins Gegenwärtige sich schneidend, eine Spur ziehend, prägend, ein aus allen Gegebenheiten gelöstes Sich Wahrnehmen, das erst den Raum schafft, der durch diese fast schmerzliche Bewegung entsteht, eine nicht willkürliche Bewegung, sanft abwärts ausziehend, erste Andeutungen zum Vertikalen, sich erneut, vervielfacht wiederholend, beinahe die ,,Partitur" einer elementaren vitalen Musikalität.
Dieses Werk nimmt sich gegenüber Andreas Schmids farbigen Bildern und Zeichnungen noch weiter zurück, sucht kulturell geprägte Assoziationen auszuschließen, eine originäre Material-, Raum- und Bewegungserfahrung, eine konzentrierte Notiz der intimsten Regung wahrnehmenden Bewußtseins zu "for­mulieren". Wenn der Betrachter im Verweilen vor dem Bild irgendwann die Lamellen vor den Fenstern der Villa vergessen hat, steht er gebannt im Sog des Bildes. Es ist nicht reproduzierbar in der Zeitung, nur life zu erleben.

Bernard Tewes ist Leiter der Volkshochschule Esslingen

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Rummets eget maleri
, 1996
Andreas Schmid und Stefan Becker_ To Historier Om Tid - BrandtsKlaedefabrik Odense_Fuyens Stiftstidende, 18.04.1996
von Bente Dalgaard, Fotos: Benny Ahlmann
Definitionen der Plastik
, 1996
Eine Performance in der Stuttgarter Staatsgalerie mit Claude Horstmann, Stuttgarter Zeitung, 30.03.1996 von Adrienne Braun

Zwei Tische, zwei Künstler, allerlei Gegenstände; ein Stein hängt an einem Faden, ein anderer liegt am Boden. "Kannst du ma! die Skulptur nach Norden halten", so nennt sich eine Performance, die am heuti­gen Samstag um 20 Uhr zum zweiten Mal in der Staatsgalerie stattfindet. Ein Jahr lang haben die beiden Künstler Claude Horstmann und Andreas Schmid sich mit der Skulptur beschäftigt und den herr­schenden Diskurs über sie hinterfragt. weiterlesen ...

Entstanden ist ein kontemplatives Wech­selspiel der beiden Künstler, eine kluge, assoziationsreiche Reflexion über das We­sen der plastischeh Form. Horstmann und Schmid sprechen nichts deutlich an und konjugieren doch die gesamte Bandbreite der möglichen Definitionen der Plastik durch.
Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein, so besagt eine physikalische Regel. Wo zwei Körper sind, entsteht ein Raum, belehren die beiden Künstler im Vortrags­saal der Staatsgalerie. Distanz schafft eine Verbindung zwischen plastischen Objek­ten, durch Variation der Entfernung ver­ändern sich die Spannungsverhältnisse zwischen den Körpern. Wie in einer Ver­suchsanordnung erproben Horstmann und Schmid die haptische Qualität der Plastik, ihre physikalischen Werte, Dichte und Oberflächenstruktur. Sie wird zum Klang­körper, auf dem sich Töne erzeugen !assen. Plastische Gegenstände können verwurzelt mit dem Ort sein und durch Bewegung den Raum erforschen. Sie haben unterschiedliche Abmessungen, ihre Volumen korrelieren mit dem Format. Die Künstler erstellen einfach Bezüge, die durch die abstrakte Präsentation und durch Raum-Plastik-Ton-Relationen Denkräume eröffnen. Die sparsame Bewegung der Objekte ergänzen die Künstler durch Diaprojektionen und verschiedene Texte. Wasser durchfließt, durchdringt, höhlt aus, sickert durch - so zitieren sie den Au­tor Francis Ponge. Und schaffen eine Par­allele zur Bildhauerkunst, die wie Wasser Material formt, sein Volumen transfor­miert.
Ergänzend zu der Performance ist ein aufwendiger Katalog erschienen, mit Ab­bildungen von Arbeiten Giacomettis, von Beuys oder Lehmbruck. Losgelöst von der Performance haftet dem Buch ein Hauch von Beliebigkeit an, auch wenn die Foto­grafien an sich durchaus sehenswert sind. Mit dem Gesamtprojekt hat sich die Staatsgalerie aber in jedem Fall auf wenig ausgetretene Pfade gewagt und den Be­reich der etablierten Kunst verlassen - mit Erfolg.
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Die Erfahrung von Fremdheit
, 1995
Von der Tagung "chinesische Lyrik, Musik, Malerei"
Ein (fast) gelungener Auftakt mit Lesungen und einer Vemissage im Hölderlinturm, Südwestpresse Ulm, Schwäbisches Tageblatt, 24.06.1995

TÜBINGEN (erf). Kein Dichter wird in der asiatischen Welt so viel übersetzt wie Hölderlin. und die chinesischen Poeten der jüngsten "post-obskuren" Generation räumen ein, daß er wle kein zweiter ihre "Innerlichkeit" geprägt habe weiterlesen ...

Ein Schatten von Traurigkeit lag am Donnerstag Abend über der Eröffnung der bis Sonntag dauernden Tagung zur chinesischen Kunst, Lyrik und Musik, zumal den über hundert Gästen im Turm vorneweg bekannt gegeben werden musste, daß einige der Eingeladenen nicht hatten kommen können.

Das Regime in Peking hatte ihnen am Ende doch die Ausreise verweigert, zuletzt dem Maler und Zeichner He Duoling. Die Anwesenden schickten per Fax eine melancholische Grußbotschaft, die zwischen den Zeilen daran erinnerte, daß sich dieser Tage das Staatsmassaker auf dem Platz des himmlischen Frieden zum sechsten Mal jährt.
Wie geplant konnte jedoch zu Beginn die Doppel-Lesung mit Peter Härtling und dem chinesischen Komponisten Zhu Shirui, zur Zeit Doktorand in Tübingen, stattfinden. Die beiden lasen im Wechsel Hölderlin auf deutsch und chinesisch. Eine wunderschöne, geheimnisvolle Voraussetzung für ein allgemeines und lockeres Gespräch über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Hölderlin ins Chinesische zu übertragen; ein Gespräch, auf das das neugierige, konzentrierte Publikum auch zu brennen schien. Schön wäre etwa die Frage gewesen, wie der Hölderlin-Vers "Noch denket das mir wohl" (aus:"Andenken") wohl transportiert wurde? Stattdessen aber las Härtling im Solo noch etliche Hölderlin-Gedichte und Zimmer-Briefe vor. Anrührende Texte, freilich, in dem deutsch-chinesischen Rahmen aber nicht sehr sensibel platziert.
Andreas Schmid konnte sich kaum retten vor Anfragen zu den Installationen, Zeichnungen, Kalligraphien und Lithos, die er mit dem Chinesen Yang Jiechang zusammen im und am Hölderlinturm angebracht hatte. Schmid, der 1993 in Berlin die berühmt gewordene "China-Avantgarde" Ausstellung mitorganisiert hat, spannte vom oberen Turmfenster aus drei gelbe Seile quer über den Neckar und vertäute sie in den Platanen; sie symbolisieren unter anderem Hölderlins Beziehung zu Flüssen und Bäumen und antworten auf Schmids zierliches Spiel der Wand- und Schattenlinien im oberen Zimmer.
Die spielerische Einfachheit verbindet den Deutschen Schmid mit seinem chinesischen, im Pariser Exil lebenden Kollegen Yang, der sich darum bemüht, taoistische Spiritualität und ästhetische Moderne miteinander zu verknüpfen – eine sehr reizvolle Melange, etwa in der Vitrine mit der Materialkombination aus Stecknadeln, starr-trockenen Blutstropfen und Kopfhaar. Oder auch in der humorvollen Idee, bleigrauen Neckarschlamm auf weißer Wand wie altehrwürdige Tusche zu verwenden. Die Tagung beschäftigt sich auch mit den Problemen der Übersetzung. Anschauungsmaterial ist etwa in der rechtzeitig erschienenen Anthologie gegeben für die Tübinger Sinologin Susanne Große Lyrik der "Edlen von Sichuan" etwa Zhang Zao oder Ouyang Jianghe, übersetzt hat. Den historisch-theoretischen Rahmen - bereichert auch um einige persönliche Noten zu seiner Übersetzererfahrung - schuf Prof. Paul Hoffmann gestern vormittag im Neuphilologicum. Hoffmann sagte. übersetzen komme der "Erfahrung von Fremdheit" gleich.
Die Funktion des Übersetzens sei in ihrer Bedeutung für das literarische Leben der Gesellschaft gar nicht zu überschätzen. Für die Verwirklichung dessen, was man im Goethischen Sinne als Weltliteratur auffasse, sei das Übersetzen die condition sine qua non. "Begnadete Übersetzer", so zitierte er Cees Noteboom, "sind Zauberer."

Über die Tagung hinaus ist im Hölderlinturm die Ausstellung mit Arbeiten von Andreas Schmid und Yang Jiechang, die den Hölderlintitel trägt "aber es haben zu singen", noch bis zum 30. September zu sehen.
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Bunter Strauß subversiver Köstlichkeiten
, 1994
Stuttgarter Zeitung, 11.06.1994, S. 34
von Gabriele Hoffmann

Die Ausstellung "Widerstand heute?!" in der Galerie der Stadt Esslingen

Es steckt tief in den Köpfen wohlerzogener Demokraten, daß permanenter Widerstand in Diktaturen eine großartige, weil heldenhafte Sache ist, in Demokratien aber eher eine Störung von Ruhe und Ordnung. In diesem Jahr überstürzten sich bei uns die Ereignisse, die Anlaß sein könnten, über die möglichen Zusammenhänge von Diktatur und mangelnder Widerstandskultur in Demokratien nachzudenken. weiterlesen ...
Am 20. Juli jährt sich zum fünfzigsten Mal der gescheiterte Attentatsversuch des Grafen von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Am vergangenen Wochenende trafen sich vierzehntausend Menschen in Solingen, um am ersten Jahrestag der Ermordung von fünf Türkinnen ihrem Widerstand gegen Rassismus Ausdruck zu geben. Solingen ist längst zum Synonym für die Notwendigkeit von Wachsamkeit und Widerstand in einer rechtsstaatlich verfaßten Demokratie geworden. Doch Sympathiekundgebungen mit den Opfern von Gewalt und Fremdenhaß, die sich als Begleiterscheinung zur stereotypen Politikforderung nach Verschärfung der Gesetze immer dann "spontan" erheben, wenn es brennt, haben etwas von einer Feuerwehr, die untätig in ihrem Schuppen auf den nächsten Befehl zum Löschen wartet. Die Alternative dazu ist ein Widerstand, der als individueller Habitus kreativer Menschen permanent spürbar ist. Diese Perspektive zeigt jetzt eine Ausstellung in Esslingen in der Konzeption von Renate Damsch-Wiehager von siebzehn eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen haben vierzehn die Herausforderung "Widerstand heute?" !angenommen und sich auf den Marsch durch das Zentrum der Stadt begeben. Aus einem überdimensional großen Lautsprecher an der ehemaligen Esslinger Synagoge, heute Galerie am Heppächer dringt martialisch verfremdetes Feuerknistern.
Das Münchner Künstlerpaar Verona Kroft / Kurt Petz verbindet in dieser Installation die Erinnerung an das Verbrennen jüdischen Kulturguts an diesem Ort mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Rundfunks für die nationalsozialistische Gleichschaltungsmaschinerie. Ein paar Schritte weiter spricht Torsten Goldberg in einer sinnfälligen Schaufensterinstallation ("Oscar 1-10") die mit allen MItteln der Museumsdidaktik "bewältigte" Erinnerung an historische Widerstandsformen an: Hampelmänner, auf denen man die Fragmente der Köpfe von den Nazis verfemter Künstler erkennt - herausgeschnitten aus den Schautafeln der in Berlin und Chicago gezeigten Rekonstruktion der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst". Jedem Hampelmann sein Walkman, der ihn sicher durch die Historie geleitet. Der Niederländer Jan Henderiksen stellt seine roten Plakatständer mit Listen junger Berliner Frauen und Männer, die ihren Widerstand gegen den Naziterror mit dem Leben bezahlten, mitten hinein in die bunte Harmlosigkeit der Wahlwerbung.
Auf rotverkleideten städtischen Litfaßsäulen gibt der Berliner Künstler Andreas Schmid seiner Sorge um den "Kulturstandort Deutschland" Ausdruck: eine schlichte Aufzählung von dreiundzwanzig ehrwürdigen Kulturinstitutionen, die auf der Schließungsliste des Bonner Finanzministeriums für 1995 stehen.
Patricia London Ante Paris sucht mit einem bunten Strauß subversiver Köstlichkeiten – von mittelalterlicher Mystik (Teresa von Avila) über Erich Mühsams "Befreiung der Gesellschaft vom Staat" bis zu einer detaillierten Belehrung über Aufzucht und Genuß von Schlafmohn – den soliden Bürgersinn der Esslinger zu untergraben. Ein in gläserner Vitrine ausgestellter Kinderschuh, den ein zorniger Zweijähriger Anfang des neunzehnten Jahrhunderts aus dem Fenster geworfen haben soll, ist dem Esslinger Künstler Matthias Kunisch Anlaß, seine Zeitgenossen zur "Bewahrung kindlichen Widerstandspotentials bis ins hohe Alter" aufzurufen. Gerold Miller verlangt von den Passanten, daß sie a) die zwei Aluminiumleisten im Abstand von drei Metern an einer schmutzigen Hauswand entdecken und b) auf den wiederständischen Gedanken kommen, daß "Präzisieren" ein Mittel gegen "vorschnelle Lösungen" ist. Leider funktioniert Katrin Pauls Installation – drei Diaprojektoren in einem Schaufenster werfen Bilder von mißhandelten Frauen und Kindern auf die vor dem Fenster stehenden Betrachter nur sehr unvollkommen. Ebenso intelligent im Konzept wie überzeugend in der Visualisierung ist die Foto-Installation im Schaufenster eines Immobilienmaklers, mit der Thomas Rummel (Pforzheim) den politischen Widerstand über den physikalischen zu definieren versucht. Simone Westerwinter hat sich die Metzgerei Stehle als "Ort des Vertrauens" ausgesucht und wurde enttäuscht. Warum, das erfährt man am Ort des Widerstands.

(Bis 20. Juli. Statt eines Kataloges bekommt man für 35 Mark einen Kasten mit Künstlermaterial)
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Der skeptischen Befragung würdig
, 1994
Esslinger Zeitung, 10.05.1994
von Gaby Weiß

Ausstellungseröffnung in der Innenstadt: 15 Künstler zum "Widerstand heute?!"

Esslingen - Bis zum 20. Juli, dem fünfzigsten Jahrestag des Attentats auf Hitler, zeigen 15 Kunstschaffen· de in der Innenstadt ihre Arbeiten zum Thema ,,Widerstand heute?!" Das ehrgeizige Ausstellungsprojekt, das am Sonntag eröffnet wurde, ist eine der Säulen der städtischen Rei­he zum Thema "Gedenken und Wi­derstand - gestem und heute". weiterlesen ...


Im Bewußtsein der historischen Er­eignisse schlug Oberbürgermeister Ulrich Bauer in seiner Eröffnungsre­de den Bogen zur aktuellen Situa­tion: "Widerstand ist Kampf um Humanität und Kampf gegen Un­menschlichkeit " und somit ein Grundpfeiler unserer Demokratie. In Erinnerung an die jüngsten Aus­schreitungen in Magdeburg fand der OB deutliche Worte: ,"Der neue Na­tionalismus mit seiner Vereinfa­chung der komplexen Probleme un­serer Zeit muß in Deutschland und in Europa bekämpft werden." Auf dem Weg dorthin bedürfe es, so Ess­lingens Stadtoberhaupt, "politi­scher und kultureller Visionen". Wie zum Beispiel eines solchen Ver­anstaltungsprojekts: ,,Die öffentli­che Reaktion wird zeigen, wie tole­rant wir sein können, wenn es um die Auseinandersetzung mit Wider­stand heute geht." Auch Galerie­leiterin Dr. Renate Damsch-Wieha­ger hob die Wichtigkeit des Disku­tierens hervor: ,,Kaum ein Begriff scheint in einer fortgeschrittenen Demokratie der skeptischen Befra­gung ebenso würdig wie der des Widerstands."
Ein Aspekt innerhalb der Konzep­tion ist denn auch die künstlerische Artikulation im privaten wie im öf­fentlichen Raum, "wobei dem Fen­ster als Übergang vom Privaten zum Öffentlichen ein besonderer Stellenwert zukommt", wie die Galerie-Chefin betonte. So sind in einigen Fenstern entlang des Aus­stellungsrundgangs - im Heppä­cher, Heugasse, Rathausplatz, Ha­fenmarkt und Milchstraße - Werke zu entdecken: Zeljko Bozicevic be­arbeitete weichen Gips mit den Fau­sten, Thorsten Goldbergs Hampel­männer stehen für die Manipulier­barkeit des Menschen und auch Thomas Rummel macht mit seinen Fotografien Fenster zur Ausstel­lungsflache. Ebenso sind aber skulpturale Bear­beitungen des Themas auszuma­chen, wenn Helmut Stromsky Tan­nenhölzer stachelig und widerspen­stig in einen Häuserspalt zwängt. Für Dr. Renate Damsch-Wiehager ein Zeichen ganz besonderer Art: ,,Die Enge weist auf eine mögliche Weite des Denkens." Oder der überdimensionale Lautsprecher von Verena Kraft und Kurt Petz, der - an der ehemaligen Synagoge ange­bracht -mit Brandgeräuschen an den Überfall in der Reichspogrom­nacht erinnert. Und die nur bei prä­zisem Hinschauen auffindbaren Metallschienen Gerold Millers ebenso wie die Geschichte eines kleinen wi­derspenstigen Jungen, erzählt von Matthias Kunisch.
Wie vielfaltig die Kunstschaffenden formal an das Thema herangegan­gen sind, zeigen auch die Plakat­aktionen: Mal literarisch-geistesge­schichtliche Erörterung von Patricia London Ante Paris, ma! historische Dokumentation wider das Verges­sen von Jan Henderikse, ma! politi­scher Aufruf zum Widerspruch von Andreas Schmid, ma! ein Textbei­trag pur von Eran Schaerf. Dazu die Projektionen von Katrin Paul, der Flugblattabwurf von Georg Winter (siehe nebenstehenden Artikel) oder die Überredungsaktion von Si­mone Westerwinter, die hoffte, Pri­vatleute breitschlagen zu können, sich fur die Ausstellungsdauer als eine Art Akt des Vertrauens in die Kunst die Haare rot färben zu !as­sen.
Die Ausstellung, die sehr individu­elle Ansätze zum "Widerstand heu­te?!" präsentiert, wird - da waren sich Oberbürgermeister Bauer und die Galerie-Leiterin am Sonntag morgen einig - für Gesprächsstoff sorgen. Dr. Renate Damsch-Wieha­ger zumindest hat ihre ganz persön­liche Antwort auf die Frage ,,Wider­stand heute?!" wahrend der Arbeit an der Schau gefunden: ,,Vielleicht kann Widerstand heute heißen, sich jeder Ausflucht in den Weg zu stel­len, zuerst bei sich selbst und dann bei jedem anderen".
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Glanzstück im Glanzstück
, 1983
Jahresausstellung Deutscher Künstlerbund in Gropiusbau und Nationalgalerie, Berlin
Heinz Ohff, Tagesspiegel , Berlin, 20.11.1983

Maler hämmerten besonders große Keilrahmen zusammen, Bildhauer und Objektleute dachten sich besonders ausladende Formen aus, Mitglieder und Gäste des Künstlerbundes strebten ins Großformatige oder sogar Gigantische, seit bekannt war, daß der Gropiusbau zu füllen sei. Thomas Grochowiak, der Künstlerbundsvorsitzende sprach geradezu von einer “Überflutung” durch Riesenformate: 1400 Arbeiten wurden von 585 Künstlern eingereicht. Erlaubt sind drei Arbeiten pro Künstler ¬– manche schickten drei Tryptichen, was neun Mammutgemälde bedeutete – allerhand Arbeit für die neunköpfige Jury. weiterlesen ...

Nach viereinhalbtägiger Tätigkeit, die aufreibend genug gewesen sein mag, war das Ganze auf 540 Arbeiten von 352 Künstlern reduziert. Immer noch eine Menge, eine ganze Menge an Gropiusbau- Formaten dazu, die sich nun auf diesen, sowie die Neue Nationalgalerie verteilen.
Da gibt es zunächst ein Loblied auf die Stell- und Hängkommission zu singen, lauter Berliner (die übrigens trotzdem Berlin nicht übermäßig in den Vordergrund gespielt haben): Dieter Honisch, Lothar Fischer, Raimund Gierke, Herbert Kaufmann und Fred Thieler. Ihnen dürfte zu verdanken sein, daß es im Gropiusbau aussieht wie in einem modernen Museum, zuweilen sogar einem vorzüglichen. Da finden sich Glanzstücke, die man so noch nicht anders in jene representative Kunstsammlung aufnehmen konnte – um ein Beispiel zu nennen, etwa jenen Raum, in dem die abstrakten Explosionen Sonderborgs und drei in jeder Beziehung große Schumachers, von einem Bild des jüngst verstorbenen Frühtrunk gleichsam ausgehend, auf Rupprecht Geigers 7 Meter 60 hohes Rotbild zulaufen, wie auf einen Altar.
Es gibt überhaupt in den oberen und unteren Räumen eine ganze Reihe von Höhepunkten, wie man sie beim Künstlerbund sowohl ausstellungstechnisch als auch in einer derart qualitativen Anhäufung selten oder nie zuvor gesehen hat, auf jeden Fall in den letzten Jahren in Düsseldorf, Hannover, Nürnberg, Stuttgart nicht, schon mangels idealer Räumlichkeiten, wie dieser. Um ein paar von ihnen – herauszugreifen: Da steht im Untergeschoß eine bemalte Sperrholzplastik von Peter Jacobi, “Mahnmal Kristallnacht”, die bei scharf senkrechter Beleuchtung im Schattenwurf einen Davidstern auf den Boden zeichnet.
In ähnlicher Beleuchtung befinden sich im selben Raum die Abreibung eines indianischen Opferaltars von Sabine Franek-Koch, sowie Fritz Gilows Installation “Blei-Pompeji” aus Lava, Fundstücken und Fotos. In diesem Seitenraum entdeckt man plötzlich, daß man flüstert, wie in einer Kirche. Um einen – umgekehrt – sehr lustigen Tisch von Tim Ullrichs, der “Birnams Wald” wörtlich nimmt (aus dem “Macbeth”: die kleinen Nadelbäume bewegen sich tatsächlich auf eine winzige Burg zu, sobald man die Schubladen bewegt). Gruppieren sich die epischen Maler Koeppel. Grützke, Dreher, Herzog, sowie ein erstaunlich monumental gewordener Waldenburg wie König Artus' Tafelrunde. Überhaupt ist die Hängung quasi per Handschrift erfolgt: Götz, Trier und Gierke hängen in einem Raum, die Naturalisten, wie Nagel, Altmeppen. Paetz, Tripp, Heidelbach glucken zusammen.
Maler wie Rösler, Henniger, Sohns und Deppe bilden so etwas wie eine Seniorenecke, die sich malerisch überaus frisch ausbreitet. Ursulas pelzfellbezogener und bemalter “Paravent” steht bei ähnlichen Fabulierern (wie Trökers und Bernard Schultze).
“Heftige”, wie Ricarda Fischer, ter Hell und Pods tragen nebeneinander ihre Kämpfe aus, wie Konstruktive (Bonato, Mahlmeister, Mavignier) einander im selben Raum meditativ anschweigen – die beiden Rundgänge im Erdgeschoß und im ersten Stock sind hervorragend gestaltet, umso mehr als der Hängekommission noch eine ganze Reihe weiterer Kunststücke gelungen ist. Sie hat jüngere und noch unbekannte Kollegen so geschickt unter die bereits bekannten, arrivierten gemischt, daß man zwangsläufig auf sie aufmerksam wird. Dem Meister Stöhrer gegenüber hängt zum Beispiel das gestische Bild eines Andreas Schmid, Jahrgang 1955, aus Stuttgart _ den Namen wird man sich merken. Es gibt auch Pointen, wenn etwa streng Naturnahe wie Sartorius und Schleswig auf Naiv-Raffinierte stoßen, wie Karl und Nüssle oder Friedemann Hahns majestätischer “Monet” wohlwollend auf impressive Arbeiten unser jungen Berlinerin G.L. Gabriel schaut. Auch Biederbicks behaglicher Zeitungsleser wird eher von Petricks gewaltigen Visionen bedrängt als von seiner Lektüre. Und gelungen ist sogar jenes Kabinett in dem diejenigen hängen, die den gigantischen Hängeflächen zum trotz, betont kleine Formate eingesandt haben, darunter Küchenmeister, Wendland, Grewenig, Wollischek, Ackermann und Volkert, letzterer mit einer sehr schönen dreiteiligen Miniaturlandschaft, die trotzdem weiten Atem hat.
Leider läßt sich das Lob nicht auf die Gestaltung des großen Hauptraum ausdehnen, der bewußt – schon um sich gegen den “Zeitgeist” abzusetzen – schwarzweiß gehalten worden ist. Die Sockelplastiken und Environments stehen reichlich ungeordnet und sehr verloren in ihm herum, als warteten sie auf jemand, der sie endlich zurecht schiebt; und die ebenfalls bewußt grau- oder gedämpftfarbig gewählten Bilder in den beiden Umgängen helfen nicht eben den tristen ersten Eindruck, den man zwangsläufig bekommt, zu mildern. So überwältigend mitunter die Einzelräume, so enttäuschend und entmutigend ist ausgerechnet das Entrée greaten. Immerhin es dürfte besser sein, wenn auf eine Niederlage ein Sieg folgt als umgekehrt. Das gilt auch ein bißchen für den oberen Raum der Nationalgalerie, der in der Hauptsache die Bodenplastiken aufnehmen sollte, die nicht auf Sockeln stehen. Aber gerade dazu eignet sich der konturenschluckende graue Fußboden nur wenig. Dabei scheint mir die plastische Qualität hier um einiges höher als im Gropiusbau, und wer geduldig die ungetrennt nebeneinander gelegten (oder abgelegten) Arbeiten sich ansieht, wird auf Schönes, Gewichtiges und sogar Meisterhaftes stoßen. Franz Bernards Holz-Eisen-Skulptur “Liegend” sei genannt, Gerd Rohlings drei Seifenkistenstücke aus Benzintonnen (“Modena”), Raffael Rheinbergers Fundstückmontagen aus New York und Gerline Becks “Monument für Dore Hoyer". das den unvergessenen Drehtanz der Tänzerin in Bronze, Stoff und Farbe nachzuvollziehen scheint. Es wäre wahrscheinlich richtiger gewesen, diese Werke in die Ausstellung im Gropiusbau zu integrieren, schon der Qualität zuliebe, denn, um auch dies zu sagen: man hätte manches noch strenger jurieren können und wohl auch müssen. Es gibt Stücke, bei denen man sich wundert, auf welche Weise und warum sie in eine solche Leistungsschau hineingekommen sein mögen.
Aber sie bleiben in der Minderzahl - auch dies, nach meinen Eindrüklten, zum erstenmal. Der Gropiusbau hat nicht nur größere Formate bewirkt. wie eingangs geschildert, sondern wahrhaftig auch so etwas wie eine qualitative Steigerung. Von ihm scheinen Impulse auszugehen. Er reizt die Künstler und kann sie anstacheln.
Kein Wunder, daB Thomas Grochowiak Im Namen des in diesem Jahr 80jährigen Deutschen Künstlerbundes energisch forderte, daß dlese Ausstellungsstätte erhalten bleibt. Abgelehnt wird ein institutionalisiertes Geschichtsmuseum, als diskutabel angesehen ein – von Senator Hassemer unlängst vorgeschlagener – Wechsel zwischen historischen und Kunstausstellungen.
Während der Vorbesicbtigung und der Er­öffnung wurde nichts heftiger diskutiert als diese Frage. Gleichzeitig fand ja auch ein “Hearing" im Reichstagsgebäude zum gleichen Thema statt. Ich will nicht gerade sagen, daß diese Künstlerbundausstellung durcbweg des Lebens goldenen Baum darstellt. aber so imponierend gelungen und besonders gut gestaltet tritt sie doch allen grauen Theorien gegenüber den praktischen Beweis dafür an, daß wir in Berlin den Gropiusbau als freie Ausstellungsstätte dringend nötig haben. So nötig wie Bonn seine Kunsthalle. die dem Bundeshauptstädtchen ja ebenfalls, zugunsten einer “Walhalla” zu entgehen droht.

(Martin,Gropiusbau, Stresemannstrße 110, bia 8. Januar 1984, täglich 10-18 Uhr - Neue Nationalgalerie, Potsdamerstraße 50. bis 8. Januar 1984 täglich 9-17 Uhr. Belde Huser Montag geschlossen Eintritt 3 DM fur beide Aussttellungen. Katalog 24 DM)


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DAAD-Stipendiaten Ausstellung, in der bei Keller-Holk Galerie
, 1983
Stuttgarter Künstler Anita Wahl und Andreas Schmid stellen bei Keller-Holk Galerie/ Auslandsaufenthalte, "Die Glocke am Sonntag", 04/09/1983

Eine kleine Schiefertafel im Schaufenster an der Wiedenbriicker Monchstraße 21 gibt Auskunft:
Ga­lerie geschlossen! Sommerpause! Nächste Ausstellungseröffnung 9. September, 20 Uhr. "Keine Angst vorm Malen" ist das Thema der neu­en Ausstellung mit Arbeiten des Münchner Künstlers Ludvig Ar­nold. weiterlesen ...

Ausstellungen organisieren heißt zur richtigen Zeit die richtige Nase für das Neue, das Unbekann­te, für künstlerische Qualität, heißt Kontakte knüpfen zu Künstlern in den Zentren der Kunst. Organisie­ren, telefonieren, verhandeln, telefonieren, verhandeln. Die Arbeit in der zeitgenössischen Kunstszene ist Knochenarbeit, die nur mit Energie, Zähigkeit, Engage­ment und Idealismus durchzuhalten ist. Erfolg und Enttäuschung liegen dicht beieinander. Und ehe sich der Vorhang in Wiedenbrück erneut zur Kunst-Premiere" hebt, müssen die "Requisiten" der letzten Vorstellung in die Ateliers der letzten Vorstellung in die Ateliers der Künstler zurück­gebracht werden.
Der Ford Transit, bis unters Dach beladen mit großformatigen Lein­wänden von Andreas Schmid. Anita Wahl, Matthias Volcker und Joachim Raab, bahnt sich einen Weg in Rich­tung Frankfurt. Donnerstagabend, Feierabendverkehr. Im Siegerland geht die Sonne unter und in Frank­furt die Lichter an. Ein verwirrendes Netz von Schnellstraßen und Autobahnen "Mainhatten" pulsiert. Netz von 'Schnellstraßen und Auto­bahnen "Mainhattan" pulsiert.
Frankfurt Mousonstraße 24, zwi­schen Betonklotzen Spitzweg-Hin­terhofidylle mit ausgetretenen Sand­steinstufen und auf dem Pflaster Pflanzen in Topfen. Das Atelier zeigt Atmosphäre, weiße Wände, hohe Fenster, ein Hauch von Ölfarbe. Mat­thias Volckers Arbeiten sind schnell ausgeladen.
Ausgeladen.
Gartenstraße 8: Wo die Bomben nicht eingeschlagen haben, tragen Gründerzeitvillen ihren Stuck und Schnörkel zur Schau. Die Lücken wurden geschlossen mit nichtssa­gender Nachkriegsarchitektur; die Nacht billigt dieser Stadt mildernde Umstände zu.
"Nein, Joachim Raab ist nicht zu­hause, verreist. Aber. ihr könnt die Arbeiten hier lassen."
Nach zehn Mi­nuten ist der Raum gefüllt, eine Ga­lerie in Aufbruchstimmung. Der Jun­ge Mann nimmt schnell noch einen kräftigen Schluck aus seiner Teetas­se: Find' ich prima, jetzt sieht's auch bei mir aus wie in 'ner Galerie." Die Freundlichkeit im Parterre bat uns 324 Stufen in die Mansarde er­spart.
Mittemacht in Frankfurt "Belsers Kunst Quartal" (ein "Woho`s Who' aller Museen und Galerien im ln-­und Ausland) verweist auf eine Ver­nissage grad heute. In der "Galerie ak", Gartenstraße 47, ganz in der Nähe. stellt Aldo Solari seine neue Ma­lerei vor. Mit einem Druck auf die Klingel rutscht eine hell erleuchtete Liftgondel wie ein Regentropfen an der Außenhaut des Hauses herab.
Morgens um acht ,röhrt der Ford Transit weiter in Richtung Stuttgart. Kurze Pause, Tanken, Telefonieren. Andreas Schmid ist zur Zeit nicht in Stuttgart. In Klausur lernt er chinesisch. Vorbedingung für einen zweijährigen Aufenthalt in der Volksrepublik China. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) finanziert dem erfolgreichen jungen Künstler ein Studium bei chinesischen Altmeistern.
Auch Anita Wahl ist nicht mehr anzutreffen, seit gestern ist sie für ein Jahr Schülerin bei Enzo Cucchi in New York. ein DAAD-Stipendium macht's möglich. Aber, Raimond Wäschle, ein Kollege der jetzt in Ani­ta Wahls Stuttgarter Atelier arbeitet, ist gerne bereit, die Arbeiten, die in Wiedenbrück ausgestellt waren, wie­der in Empfang zu nehmen.
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Zwei junge Künstler und ihre Hieroglyphen der Freiheit
, 1983
Stuttgarter Künstler Anita Wahl and Andreas Schmid stellen bei Keller-Holk Galerie aus / Auslandsaufenthalte
Westfalen-Blatt, No 132, 10.06.1983

Rheda•Wiedenbrück(WB).
Jungen Talenten ist sie seit jeher auf der Spur, die Wiedenbrücker Galerie Keller-Holk. Den künstlerischen, Nachwuchs vorzustellen, gehört zum Programm. Dem gerecht wird eine neue Ausstellung von zwei Absolventen der Stuttgarter Kunstakademie, Anita Wahl (28) und Andreas Schmid (27).weiterlesen ...

Wenn der renommierte Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) diese zwei Maler mit einem Stipendium fur ein Jahr nach den USA und nach China schickt, wird die Spannung auf das, was die beiden "Abstrakten" vorzuzeigen haben, nur noch angeheizt. Tatsächlich sparen die in der Tradition der •informellen• gestischen Ak­tionsmalerei stehenden Künstler nicht mit einem elementar aufgeladenen, starken Vortrag in Form und Farbe, der bisweilen zum dramatischen Ereignis wird. Mit der reinen Farbe direkt Energien, Aggressionen und Spannungen auszudrücken, hat in der Absicht freilich Vorväter. Nicht weniger durch zeichenhafte Formen dynamische Vorgänge und damit Emotionen und Gefühle oder das Bild hinweg zu transportieren. Erregung wird spürbar. In immer neuen Anläufen entsteht nervöse Vibration, Bewegung auf der Flache, die zum Zustandsbericht über das Temperament, die Persönlichkeit, die Absichten und das Verhalten des Künstlers wird.
Der Aktionsherd ist bei solcher »befreiten» und doch disziplinierten Malerei das Bild selbst. Farbe wird zum Energiefeld, die Linie zum Bewegungsimpuls, der Vorgang Zeichnen wird zum Thema selbst. Beide Künstler schaffen sich ihre eigenen Welten in der Überzeugung von der Kraft der Vorstellung, die zu einer eindringlichen Formenvielfalt führt. Wenn man so will, handelt es sich dabei um "Hieroglyphen der Freiheit des Gelstes". Anita Wahl und Andreas Schmid lie­fern sich dieser vorbehaltlos aus.
Der couragierte Gang auf einem solchen Wege in einer Gegenwart, die gerade wieder den »gegenständli­chen» und »figürlichen» Malern größte Aufmerksamkeit zollt, macht diese beiden Fälle bemerkenswert in der zeitgenössischen Kunstlandschaft.
Der Mut, gegen den großen Strom zu schwimmen und auf eine totale Subjektivität zu vertrauen, hat hier prägnante Beispiele, die man nicht übersehen kann und die überdies zum visuellen Abenteuer werden. (Galerie Keller-Holk, Mönchstr. 21 ; bis 3. Juli).


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Wenn die Farbe knirscht und der Bildraum im Unendlichen endet
, 1983
Stuttgarter Künstler Anita Wahl und Andreas Schmid stellen bei Keller-Holk Galerie aus / Auslandsaufenthalte, Uhlener Zeitung, No127, 04.06.1983

WIEDENBRÜCK (D. Hat.). Das böse Wort "Zurück in die 50er Jahre" ist in allen Bereichen des Lebens zu einem Schimpfwort für angebliche oder auch tatsächliche reaktionäre Gesinnung geworden.Wie so oft steht hinter einem solchen Schlagwort eine eindimensionale undifferenzierte und unreflektierte Haltung, galt die vielgescholtene Dekade der Kunst doch z.B. als überaus schöpferisch und belebend. weiterlesen ...

Von den Nationalsozialisten zum Schweigen und zur künstlerischen Abstinenz verurteilte Künstler setzten sich konstruktiv mit der braunen Ära und ihren die ganze Welt ins Chaos stürzenden Folgen auseinander und fanden zu neuen Gestaltungsformen. An solche Tendenzen des abstrakten Expressionismus und des Informel scheinen auch zwei junge in Stuttgart lebende Künstler anzuknüpfen, die zur Zeit in der Wiedenburger Galerie Keller-Holk ausstellen. Gemeinsam ist Andreas Schmid und Anita Wahl die Ablehnung des Gegenstandes – der über Jahre die Künstlerszene beherrschte und die sogenannten Abstrakten zu "Ewig Gestrigen" und geistig "Überholten" abstempelte. Doch damit erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten dieser beiden so unterschiedlichen Temperamente. In den großformatigen Arbeiten Anita Wahls knirscht die Farbe, wird die Leinwand zur Bühne von spannungsgeladenen und sich entladenden Farbkollisionen werden Formen, die sich wie geheime Zeichen ausnehmen, gestalterisch und farblich gegeneinander gesetzt. In ihrer Wucht und Expressivität, die etwas von kompositorischen und farblichen Wutausbrüchen haben, erinnert Anita Wahl an die "Jungen Wilden", die sich allerdings ans Gegenständliche halten. Doch wer könnte schon bestreiten, dass sich in diesen Bildern auch eine Auseinandersetzung mit der Welt von heute vollzieht, die nur noch in Gegensätzen empfinden und handeln zu können scheint.Mit einem alle Grenzen sprengenden Pinselduktus scheint Anita Wahl ihre Empfindungen herauszuschreien, gegen den Trend einer Zeit schwimmen und die unsensibel gewordene Umwelt aufmerksam machen zu wollen.
Ganz anders dagegen Andreas Schmid, der sich durch eine feinnervige, ziselierte, fast kalligraphische Handschrift auszeichnet. Ihm scheinen alle statischen Formen und Formationen zuwider. In seinen Bildern führt ein scheinbar unentwirrbares Knäuel von Lineamenten, An- und Abschwellungen und amorphe Formen einen immer andauernden Tanz auf. Seine Arbeiten sprengen den Rahmen des klassischen Tafelbildes und sind ein Bekenntnis zum infiniten Bildraum, in dem es keinen Anfang und kein Ende, kein oben und kein unten gibt.
Von den Künstlern kann man doch einiges erwarten, setzten doch beide ihre Studien im Ausland fort. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) gewährte Anita Wahl ein einjähriges Stipendium für einen New York Aufenthalt und Andreas Schmid einen zweijährigen Aufenthalt in China, um die Kunst der Kalligraphie zu lernen. Danach wollen sie sich mit neuen Arbeiten dem Publikum der wiedenbrücker Galerie erneut vorstellen.
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Zwei Eigenwillige zeigen Abstraktes
, 1983
Rheda Wiedenbrück, Galerie Holk,
Westfalen-Blatt 109, 1983

Ausstellung in der Galerie Keller-Holk mit Bildern von Anita Wahl und Andreas Schmid seit gestern

Rheda Wiedenbrück (de.) Bilder von zwei "Abstrakten" stellt die Galerie Keller-Holk am Patersbogen in Wiedenbrück aus. Bis zum 3. Juli zeigen Anita Wahl und Andreas Schmid ihre Bilder. Ausstellungszeiten sind mittwochs von 16 bis 19 Uhr, freitags von 16 bis 22 Uhr, samstags von 16 bis 19 Uhr und sonntags von 11 bis 13 Uhr dun von 16 bis 19 Uhr.

Beide Künstler setzen in ihren Bildern "Zeichen". Kräftig ist der Farbstrich von Anita Wahl.Man spürt förmlich die Energie, die sich dort freisetzt. Schon die Dimension der Bilder, die über ganze Wände hinweggehen, macht Dynamik deutlich. Eigenwillig läßt die Künstlerin ihre Bilder sprechen. Aus nur scheinbar ungeordneten Strichen, Flächen, Bögen, Geraden, Farbschattierungen vermittelt sich nicht Chaos, sondern findende Ordnung. Verbindungen mit der Urkraft des Weltalls werden verspürbar.
Unter den Fachleuten ist Anita Wahl anerkannt. Sie ist heute 28 Jahre alt, studierte an der Kunstakademie Stuttgart, wurde von der Kunststiftung Baden-Würtemberg ausgezeichnet und geht jetzt für ein Jahr mit einem Stipendium nach New York.weiterlesen ...

Auch die Bilder Andreas Schmidts haben im universellen Raum ihre Bezugspunkte. Er malt behutsam, setzt in Flächen Zeichen, bringt diese in Spannung zueinander und lässt der Phantasie zur individuellen Deutung oder auch zum Hineinschauen in eine Welt, in die man, wenn man den Code enträtselt, selbst mit einbezogen wird, freien Lauf. Der 27jährige Künstler studierte ebenfalls in Stuttgart und fand gleichermaßen Anerkennung in der Fachwelt. Mit einem Stipendium geht es jetzt für zwei Jahre nach China.
Beide Künstler wollen ihre Kunst als "neue Abstrakte Kunst" verstanden wissen. Als eine Kunst, die ihre Vorbilder und Vorgänger hatte, die aber ganz persönlich und in eigener geistiger Umsetzung fortentwickelt und neu konzipiert wurde. Die Abstraktion in der Kunst fordert natürlich zur Diskussion geradezu heraus. Die neue Ausstellung in der Galerie Keller-Holk wird reflektieren in das hiesige Kunstleben.
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